Genug Kraft

Kirche in WDR2 | 27.08.2021 | 00:00 Uhr

„Das kann doch nicht wahr

sein.“ Im ersten Moment ist da nur dieser eine Satz. „Das kann doch nicht wahr

sein!“ Aber es ist wahr. Seine schlimmsten Befürchtungen sind eingetroffen. Die

ständigen Kopfschmerzen seiner Frau haben einen Grund. Ein Gehirntumor, genau

wie bei ihrer Mutter. Und die ist daran gestorben. Natürlich, die Medizin ist

inzwischen viel weiter. Aber ihm steht vor Augen, wie gefährlich die Operation

ist, die nun unverzüglich anberaumt wird.

Es ist ihm nicht möglich, in

den wenigen Tagen zuvor offen mit seiner Frau zu sprechen. Alles erscheint ihm

belanglos, die Dinge, die bisher wichtig waren, verlieren ihren Wert. Das,

worauf er sich verlassen hat, gibt ihm auf einmal keinen Halt mehr.

Gleichzeitig kann er weder seine Ängste noch seine Gefühle angemessen in Worte

fassen. Und was in ihr vorgeht, davon hat er überhaupt keine Ahnung.

Klar, Beten könnte in dieser

Situation eine Hilfe sein. Aber so ein Gedanke kommt ihm vorläufig nicht in den

Sinn. Erst als die Operation überstanden ist und seine Frau aus dem Koma

erwacht, da merkt er, dass er nicht nur den Ärzten gegenüber dankbar ist. Es

gelingt ihm sogar, seine Dankbarkeit in zögerlichen Worten zum Ausdruck zu

bringen. Und während er diese Worte leise ausspricht, hält er die Hände

gefaltet wie früher als Kind.

Allerdings ist noch ein

langer Weg zu gehen. Ihre Bewegungsmöglichkeiten sind eingeschränkt. Und das

Sprechen muss sie ganz neu lernen. Er versucht alles, um ihr zu helfen, bei ihr

zu sein, sie durch seine Nähe zu stärken. Obwohl er selbst nicht weiß, woher er

die Kraft dafür nehmen soll. Denn eigentlich hat er genug damit zu tun, seine

eigenen Ängste im Zaum zu halten. Die Furcht, die ihm in den Knochen steckt,

dass sie es nicht schaffen könnte. Die Beklemmung, die ihn erfasst, wenn er

sich fragt, wie das ohne sie alles werden soll. Nur ganz allmählich weicht

diese Beklemmung einer Hoffnung, die ihm zunehmend Kraft gibt, um wenigstens

diesen einen neuen Tag anzugehen.

So bewahrheitet sich an ihm

ein Zitat von Dietrich Bonhoeffer, einem Theologen, der im Dritten Reich

Widerstand geleistet hat und ermordet wurde. Aus seiner Gefängniszelle heraus schreibt

er: „Gott will uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben, wie wir

brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst,

sondern allein auf ihn verlassen.“

Als seine Frau langsam in das

alltägliche Leben zurückfindet, da erleben sie beide, dass dieser Satz wahr

ist. „Gott gibt uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft, wie wir

brauchen.“ Das gilt übrigens auch für Sie: Auch Ihnen gibt Gott heute so viel

Kraft, wie Sie nötig haben für das, was vor Ihnen liegt.

Redaktion:

Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius

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  • 27.8.2021
  • Martin Vogt
  • (Foto: Pixabay)
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