„Eigentlich bin ich ein guter
Mensch“, sagt er. Lächelt mich gewinnend an. Naja, denke ich. Wenn einer schon „eigentlich“
sagt, dann kommt da noch was. Und richtig. Eine halbe Stunde später ist mir
klar: Da vor mir in meinem Büro sitzt ein echter Schurke vor dem Herrn. Drogenhandel
ist sein Hauptgeschäft. Anderen Einkünften ist er nie abgeneigt. Meist illegal.
Macht nichts, Hauptsache lukrativ. „Aber eigentlich bin ich ein guter Mensch“.
Immer wieder dieser Satz. Offenbar braucht er das. Mit großer
Selbstverständlichkeit tut er Dinge, von denen er genau weiß, dass sie anderen
schaden. Aber er braucht dafür eine
Rechtfertigung. Vor allem wohl vor sich selbst. „Eigentlich bin ich ein guter
Mensch“. Wie er das so immer wiederholt, erschreckt mich ein bisschen. Weil es
mir so bekannt vorkommt. Die Art, wie er sich entschuldigt und sich seine Taten
vor sich selbst schönredet, erinnert mich doch sehr daran, was ich so sage,
wenn ich mich ertappt fühle: bei einer Dummheit, einem Fehler. Bei etwas, von
dem ich eigentlich immer sage: Das kann man doch nicht machen. Und dann mache
ich es eben doch. Wieder mal beim Lästern über die Nachbarin dabeigestanden und
nichts dagegen gesagt. Das zu viel erhaltene Wechselgeld nicht zurückgegeben.
Lange über Umweltschutz und Klimawandel schwadroniert und dann doch wieder die
Kreuzfahrt gebucht. Hier ein bisschen geschwindelt und da was zurechtgebogen.
Das ist alles strafrechtlich nicht relevant. Aber eben trotzdem oft einfach nur
rücksichtslos und egoistisch. Verletzend. Oder schlicht falsch. Und dann sage
ich das, was dieser Mann in meinem Büro eben auch sagt: Es ging nicht anders.
Und: Da waren die Umstände. Und: Andere sind noch schlimmer. Denn eigentlich bin ich… Naja. Eigentlich.
Der Apostel Paulus schreibt einmal: „Ich tue nicht das Gute, das ich will,
sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich“ (Röm. 7,19). Das ist ehrlich. Während ich mir
einrede, es ging eben nicht anders, sagt Paulus: Ich weiß, dass ich oft in
bester Absicht haarscharf am Guten vorbeischramme. In der Theorie bin ich gut.
Aber in der Praxis? Oft nicht. Es tut weh, sich einzugestehen, dass man das
Gute und Richtige oft einfach nicht hinbekommt. Aber nur das Falsche, das ich
mir eingestehe, kann ich auch verändern. Ehrlichkeit zu sich selbst ist die
Voraussetzung für Verbesserung und Neuanfang. Eigentlich bin ich… Was bin ich
eigentlich? Eigentlich bin ich einer, der gerne besser wäre, als er manchmal
ist. So ist es wohl richtig.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
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