Mein Leben ist nicht super! Es
gibt eine Menge, was ich mir wirklich wünsche, aber nicht habe – und vielleicht
nie haben werde. Ich will hier nichts schönreden, indem ich aufzähle, wie
schlecht es Menschen in anderen Ländern geht. Wie mein Leben dann im Vergleich mit
ihnen unendlich viel besser erscheint. Zumindest nach westlichen Maßstäben.
Und doch bekomme ich seit ein
paar Monaten nach richtig schlechten Nachrichten aus der Welt früher oder
später Dankbarkeitsanfälle. Ich weiß nie, wann sie kommen. Ich vermute, dass mein
Herz erst Zeit braucht, um sich von dem Grauen, der Ungerechtigkeit und
Dummheit der Menschheit zu erholen, bis es wieder was anderes fühlen kann.
Aber wenn mich die
Dankbarkeit überfällt, fühle ich sie aus vollem Herzen.
Wenn ich morgens aufwache im
Bett und mir nichts wehtut; ich es warm habe und sicher bin – dann überflutet
es mich – das Dankbarkeitsgefühl – und ich denke: „Wenn ich später mal auf mein
Leben zurückblicke, dann werde ich daran denken und mich erinnern, wie sicher
und frei ich gewesen bin.“
Wenn ich morgens frühstücke
und ich beim ersten Bissen denke, das ist so lecker – wie gut, dass ich das
haben darf, dann ist mir klar: „Ich werde mich an diese Zeit erinnern und
denken, dass ich immer gutes, leckeres Essen gehabt habe.“
Wenn ich mit dem Fahrrad zur
Arbeit fahre und die Blätter sind grün und die Luft ist angenehm auf meiner
Haut – dann weiß ich: „Ich werde mich erinnern, wie gut mir die Jahreszeiten
und das Klima im Jahr 2022 getan haben.“
Wenn ich hinter meinem alten
Hund herlaufe und ihre Lebenslust in jeder Bewegung sehe, dann weiß ich, dass
ich mich danach zurücksehnen werde, wenn sie tot ist. Dass ich denken werde,
wie glücklich sie mich gemacht hat.
Meine Dankbarkeitsanfälle
sind manchmal schmerzhaft, meistens süß und schnell vorbei. Sie sind
Augenblicke, in denen ich mehr und weitersehe als nur das, was gerade vor Augen
und überall zu hören ist. Ich sehe mich dann in ferner Zukunft zurückblicken
und spüre schon jetzt was mir alles Großes geschenkt ist.
Wenn mich die Dankbarkeit
über das kleine und große zerbrechliche Glück durchströmt, dann merke ich: Das
Grauen nimmt nicht Überhand. Kein Krieg, keine Hungersnot, keine Pandemie,
keine Klimakrise. So schrecklich das alles ist, so sehr mich das alles
runterzieht – meine Dankbarkeitsanfälle ziehen mich wieder hoch. Früher oder
später. Ich glaube Dankbarkeit ist ein Geschenk Gottes. Oder genauer gesagt: Dieser
Blick für die kleinen oder selbstverständlichen Dinge. Sie nicht aus den Augen
zu verlieren, das gibt mir Kraft in jeder Krise.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
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