Guten
Morgen.
Louis
läuft durch die Straßen. Er ist schon eine Weile unterwegs. In seiner Wohnung
hat er es nicht mehr ausgehalten. Zu viel geht ihm durch den Kopf. Seine
Gedanken kreisen wie ein Satellit in seinem Gehirn, so dass ihm ständig
schwindelig wird.
Das
letzte Jahr war hart. Die Pandemie, die Einschränkungen, die Kurzarbeit.
Er
ist viel alleine gewesen. Hat an die Wand gestarrt und sich gefragt, wie seine
Zukunft wohl aussehen wird.
Wie
er wohl aussehen wird? Was er wohl tun wird? Wen er wohl lieben wird? Wer ihn
wohl lieben wird?
Es
ist nicht das erste Mal, dass er sich gefragt hat, ob seine Füße ihn immer
tragen werden. Aber es ist das erste Mal, dass er spürt, dass sie ihn ins
Wanken bringen, dass die Knie weich werden und die Füße wegrutschen. Er spürt
es beim Laufen durch die Stadt. Als wären die Gedankenkreisel in seinen Beinen
angekommen. Als wüssten seine Füße nicht wohin.
Mit
den Augen beginnt er einen Platz zum Sitzen zu suchen, er braucht eine Pause.
Er
findet eine Lücke auf der Mauer neben dem alten Stadttor. Er setzt sich.
Er
sitzt und atmet. Atmet die warme Luft. Die Menschen um ihn herum verschwimmen.
Nach
einer Weile zieht Louis seine Schuhe aus. Ganz langsam. Erst den linken Schuh
und dann den rechten. Vorsichtig stellt er seine nackten Füße wieder auf den
Boden.
Sie
schmerzen.
Er
spürt den heißen Asphalt unter seinen Füßen.
Eigentlich
ist der Asphalt zu heiß für seine zarten Fußsohlen. Doch irgendwie kann er
nicht anders. Er braucht Boden unter den Füßen.
Boden,
der ihn trägt. Boden, der ihm versichert: Es wird weitergehen. Er
folgt einer Stimme in seinem Inneren. Wie Mose aus der Bibel, dem Gott in der
Wüste begegnet. Gott gibt ihm einen Auftrag. Und vorher sagt er: „Zieh deine
Schuhe aus, denn der Boden, auf dem du stehst, ist heiliger Grund.“ (Die Bibel,
2. Mose 3,5)
Vorsichtig setzt Louis einen Fuß vor den anderen.
Seine Füße tragen ihn. Barfuß fühlt sich sein Gehen
ganz anders an.
Die Kraft, die durch die Füße in ihn einströmt,
unterbricht den Kopf mit seinen Gedanken.
Louis spürt die Nuancen unter seinen Fußsohlen. Die
hubbeligen Stellen auf dem Asphalt. Den Schatten und die Sonne. Er läuft durch
die Stadt. Manchmal piekst es ihn. Kleine Steinchen graben sich in seine
Fußsohle hinein. Drüben am Park sieht er die grüne Wiese. Er kann es kaum
erwarten, sie zu betreten.
Als er dort ist, wirkt das Gras wie eine Massage.
Seine Fußsohlen entspannen sich.
Das Gras ist feucht und warm.
Er schaut seine Füße an. Was hatte Gott zu Mose gesagt: „Zieh deine Schuhe aus, denn der Boden, auf dem du stehst, ist heiliger Grund.“ (Die
Bibel, 2. Mose 3,5)
Eine Stimme reißt ihn aus seiner Fuß-Meditation.
„Hier!“ hört er es rufen.
Die Stimme rüttelt ihn auf irgendeine komische Art wach. Ihm wird kurz heiß.
Er geht schnellen Schrittes zurück zur Mauer, holt
seine Schuhe. Er trägt sie nach Hause, hält noch kurz beim Bäcker an.
Er muss los. Einen alten Freund anrufen. Die Wäsche
waschen. Und dann hat er was vor. Was, weiß er noch nicht genau. Aber Lust hat
er. Lust auf Leben.
Redaktion: Landespfarrerin Petra
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