Viele sind erstaunt. Ach,
wirklich. Ihr habt eine geflüchtete Frau aufgenommen – aus der Ukraine? Dann
sagen sie, wie toll sie das finden. Und schnell wird klar, dass sie das nicht
machen würden.
Doch die Bewunderung hält
meist nur kurz an. Dann geht es auch schon los. Mit den Geschichten von
anderen. Eine Bekannte kennt eine Frau, die hat eine Frau und ihre drei Kinder
aufgenommen. Ein Verwandter wiederum kennt eine Familie, die hat direkt drei
Generationen aufgenommen. Und dann gibt es natürlich die, die auch noch die
geflüchteten Haustiere mitaufnehmen. Den Hund, die Katze, den Papagei.
Ich höre mir diese
Geschichten an und denke, die verstehen doch gar nichts. Und dann sage ich nur
einen einzigen Satz: Wir sind sehr froh, dass Halyna bei uns ist. Warum, wieso,
weshalb interessiert die meisten nicht.
Halyna ist Tänzerin. Sie ist
im April zusammen mit 16 anderen Tänzerinnen aus der Ukraine gekommen. Auf
Einladung des Tanztheater Pina Bausch. Hier in Wuppertal haben sie seit April fünf
Tage in der Woche Training. Im Moment arbeiten sie an einem Stück über den
Krieg, ihre Flucht, ihr Geflüchtetsein.
„Es geht immer um`s Fühlen“,
sagt Halyna. „Du musst fühlen, was Dich bewegt, um zu tanzen, um andere zu
berühren. Du musst einfach Du selbst sein. Nicht die Erwartungen anderer
erfüllen.“
Stimmt, denke ich. Weiß ich.
Nix Neues für mich. Und doch: Sich immer wieder daran zu erinnern ist wichtig.
Auch im Alltag, im Kleinen. Halyna bringt mir das bei.
Manchmal ist Halyna sehr
müde, obwohl sie genug schläft. Ich sage: Kein Wunder. Du musst diese
Ambivalenz aushalten. Dein Land ist im Krieg und Dir geht es verhältnismäßig
gut. Ja, es ist ja noch viel perverser. Weil Krieg in der Ukraine ist, darfst
Du mit Tänzer:Innen vom Tanztheater Pina Bausch arbeiten. Halyna nickt. Am
liebsten würde sie jetzt ins` Bett. Es ist Mittag.
Halyna träumt von ihrer
Zukunft. Sie will den zeitgenössischen Tanz in der Ukraine etablieren. Sie
fragt berühmte Tänzer und Tänzerinnen, ob sie nach Leviv kommen, um zu
unterrichten.
Manchmal geht sie in
Einrichtungshäuser und richtet ihr Haus ein. Rein gedanklich.
Und sie will, dass wir das
orthodoxe Weihnachten mit ihr in der Ukraine feiern. Am 6. Januar. Danach gehen
wir in den Bergen Skilaufen. So hat sie es geplant.
Ich traue mich nicht zu
sagen, was ich denke. Und sage: Halyna ich bin sehr froh, dass Du bei uns bist.
Und sie sagt: Gott hat mich an der Hand genommen und hierhergeführt. Dann
nehmen wir uns in die Arme.
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