Autor: „Sie
kennen mich nicht, aber Sie haben schon viel von mir gehört.“ Mit diesen Worten
spielt der Komponist Werner Richard Heymann in den 1950er Jahren Melodien an, die
jeder kennt. Und die noch heute populär sind. Was viele schon damals nicht wissen:
Werner Richard Heymann hat jüdische Wurzeln. 1933 ist er aus Nazideutschland
geflohen – und 1951 aus Hollywood zurückgekehrt. An ihn möchte ich heute erinnern.
An diesem Sonntag, den wir in der evangelischen Kirche „Israelsonntag“ nennen.
Und frage: Was wissen wir von Juden heute? Kennen Sie überhaupt einen
Mann, eine Frau jüdischen Glaubens? Und was für ein Verhältnis haben Juden und
Christen eigentlich?
Musik 1: Ein Freund, ein
guter Freund:
Titel: Ein Freund, ein guter Freund;
Album: Musik Heinz Rühmann 100 Jahre – Die größten Hits; Interpret: Heinz
Rühmann; Musik: Werner Richard Heymann; Text: Robert Gilbert;
Musik zu dem Film „Die Drei
von der Tankstelle“ / Uraufführung 1930, Regie Wilhelm Thiele, Produktion Erich
Pommer; Label: BMG Ariola 2002; LC: 00116
O:42-1:06 = 0:24
Ein Freund, ein guter
Freund / Das ist das Beste, was es gibt auf der Welt …
Autor: Zum Verhältnis
von Juden und Christen in Deutschland passt das Lied wohl kaum. Obwohl es
natürlich Freundschaften gibt zwischen Christen und Juden. Als am 12. Mai auf
die Synagoge in Bonn ein Anschlag verübt wird, da hat direkt im Anschluss ein
Bonner eine tolle Idee: Er stellt einen Stuhl vor die Synagoge, setzt sich
darauf und sagt: Ich bewache diese Haus und die Menschen und ihre Gemeinde. Ich
stelle mich – oder in diesem Fall: Ich setze mich – vor die Juden und bin für
sie da!
Musik
1: Ein Freund, ein guter Freund / Das ist das Schönste, was es gibt auf der
Welt
1:15-1:45
= 0:30
Autor: „Ein Freund, ein guter Freund“ – In dem Lied geht es
natürlich nicht um Gefahr und Solidarität. Werner
Richard Heymann schreibt das Stück 1930 für den Kinoklassiker „Die Drei von der
Tankstelle“ unter anderem mit großen Volksschauspieler Heinz Rühmann.
Heymann war vor 1933 wohl
einer der erfolgreichsten Filmkomponisten in Deutschland. 1886 ist er in
Königsberg geboren. Er beginnt mit ernster, mit klassischer Musik. Wird dann ein
Mitbegründer des musikalischen Kabaretts in Berlin in der Weimarer Republik und
Generalmusikdirektor der UFA, der großen deutschen Filmgesellschaft. Dann kommt
der Tonfilm Ende der 1920-er Jahre. Und Werner Richard Heymann komponiert Hit
auf Hit:
Musik 2: Lilian Harvey: Das
gibt´s nur einmal
Titel: Das gibt´s nur einmal; Interpretin:
Lilian Harvey; Musik: Werner Richard Heymann
Text: Robert Gilbert; Musik
zu dem Film „Der Kongreß tanzt“ / Uraufführung 1931; Label: Promo Sound Ltd
2008; LC: unbekannt
1:53-2:21
= 0:28
Heut
werden alle Märchen wahr, heut wird mir eines klar: Das gibt´s nur einmal, das
kommt nicht wieder, das ist zu schön, um wahr zu sein. So wie ein Wunder fällt
auf uns nieder vom Paradies ein gold’ner Schein.
Autor: Märchenhaft
und paradiesisch – so war sein Leben nicht. Heymanns Vater war Jude. In
Königsberg lebte die Familie, erzählt er selbst, in einem religiös sehr offenen,
bürgerlichen Haus. Sein Vater hatte als Offizier im Krieg gegen Frankreich
gekämpft. Ein sogenannter „assimilierter deutschnationaler Jude“. Da gab es
damals viele. Zu den Empfängen daheim, erinnert sich Heymann, kamen oft der
Rabbiner, der Bischof, der evangelische Probst und der General zusammen. Seine
Mutter sorgte dafür, dass der kleine Werner Richard mit acht Jahren getauft
wurde, evangelisch. Die jüdische Religion sollte dem Sohn keine Umstände
machen, wünschte sich die Mutter.
Es half ihm nichts. Der
Rassenwahn der Nazis zerstörte alles. Inklusive der Hoffnung so vieler Juden in
Deutschland, mit maximaler Anpassung sich vor dem Unheil des Antisemitismus schützen
zu können. Werner Richard Heymann floh aus Berlin ins Exil.
O-Ton 1 Lehrer: Das Modell `Anpassung´ ist
gescheitert. Das hat (…) weder zwischen 1933 und 1945 geholfen, noch in den
Zeiten danach.
Autor: sagt
Abraham Lehrer. Er ist Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln. Er kennt genau die
Geschichten so vieler jüdischer Biographien, von Menschen, die hofften
irgendwie durchzukommen. Nur nicht auffallen. Nur nicht auf dem Radar der
Hetzer und Antisemiten erscheinen. Die Synagogengemeinde in Köln ist die mit
1700 Jahren älteste jüdische Gemeinde in Europa nördlich der Alpen. Und das ist
dieses Jahr Anlass für ein Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in
Deutschland“. „Wir wollen unseren
Kindern heute anderes mit auf den Weg geben“, sagt Abraham Lehrer:
O-Ton 2 Lehrer: Dass sie bewusste Juden sind, aber
auch selbstbewusste Juden sind, dass sie zumindest die Grundzüge ihrer Religion
und ihrer Herkunft und alles kennen, und damit offen und ehrlich auf dem
Schulhof, in der Freizeit, oder später in der Arbeitswelt umgehen können und
dass sie, wenn sie auf Antisemitismus stoßen, ein bisschen dagegen gefeit sind
oder wissen, wie man damit umgehen kann.
Autor: Der Hass
auf Juden, die immer wieder schuld sein sollen für das, was Angst macht: die
Pest im Mittelalter, die Wirtschaftskrise in der Weimarer Republik, Corona
heute. Es zieht sich wie ein bitterer Faden durch die jüdische Geschichte.
Fast 2000 antisemitische
Straftaten wurden im letzten Jahr in Deutschland dokumentiert. Noch gar nicht
mitgezählt sind da die judenfeindlichen Demonstrationen im Mai dieses Jahres,
die zahlreichen Angriffe auf Personen oder Einrichtungen – so wie in Bonn. In
seiner Gemeinde in Köln erleben sie, erzählt Abraham Lehrer, fast jeden Tag
Antisemitismus. Und er kennt viele, die sich inzwischen fragen, ob sie in
Deutschland noch richtig sind. Anders als in der Weimarer Zeit, aber doch
ähnlich.
Musik 3: Comedian
Harmonists: Einmal schafft´s jeder
Titel: Einmal schaffts jeder;
Interpret: Comedian Harmonists; Musik: Werner Richard Heymann; Text: Walter
Reisch; Marschfoxtrott a.d.Tonfilm "Der Blonde Traum"; Label:
"His Master’s Voice" (rpm78) / ZYX Music 2004
4:55-5:41
= 0:46
Einmal
schafft’s jeder. Nur auf dich selbst kommt es an. / Zeig dem Leben frech die
Zähne. / Mal hat jeder seine Strähne …
Autor (overvoice): Auch ein Lied von Werner Richard Heymann: „Einmal schafft´s jeder“. Gesungen
von den Comedian Harmonists, auch sie bestanden in der Hochzeit ihres Erfolges
zur Hälfte aus Menschen mit jüdischen Glauben.
Als das Lied erscheint, dröhnen
schon die militaristischen Aufmärsche der Nazis am Horizont. Da drückt die
Arbeitslosigkeit der Weimarer Zeit viele Menschen in die Armut. Da wankt die
junge Demokratie in Deutschland, von ihren Feinden rechts wie links verachtet –
und diese Musiker komponieren und singen Lieder voller Leichtigkeit, Zuversicht:
Das Leben geht weiter! – Ist das naiv?
Musik 4: Comedian Harmonists: Irgendwo, auf der Welt
Titel: Irgendwo auf der Welt;
Interpret: The Comedian Harmonists; Musik: Werner Richard Heymann; Text: Robert
Gilbert; Label: Europe 1998 / Golden Century Music 2019
5:45-7:16 = 1:31
Irgendwo, auf der Welt,
gibt’s ein kleines bisschen Glück / Und ich träum davon in jedem Augenblick /
Irgendwo, auf der Welt, gibt’s ein bisschen Seligkeit / Und ich träum davon
schon lange, lange Zeit.
Autor (overvoice): Die Melodie auch dieses Liedes stammt von Werner Richard Heymann. Der
Text dazu ist von Robert Gilbert, wie viele Texte zu Heymanns Liedern. Auch die
Eltern von Robert Gilbert waren laut Geburtsurkunde „mosaischen Glaubens“ und
auch Gilbert musste emigrieren, über Wien und Paris nach New York. Möge es doch
„irgendwo auf der Welt“ ein kleines bisschen Glück geben! Dieses Lied für den
deutschen Film-Klassiker „Ein blonder Traum“ von 1932, es wird zu einer Sehnsuchts-Hymne
vieler Menschen im Exil in dieser Zeit.
Musik 4: Comedian Harmonists:
Irgendwo, auf der Welt
Ich
hab so Sehnsucht, ich träum so oft / Bald wird das Glück mir nah sein …
Autor: Das
Lied ist jetzt fast 90 Jahre alt. Doch erschreckend holt die jüdischen
Gemeinden in Deutschland die Angst wieder ein. Eigentlich war sie nie weg, sagt
der Kölner Jude Abraham Lehrer, der auch stellvertretender Vorsitzender des
Zentralrats der Juden in Deutschland ist. Der Antisemitismus nimmt wieder deutlich
zu, sagt er, auch in Deutschland, und er wird vor allem hemmungsloser
öffentlich geäußert:
O-Ton 3 Lehrer: Was uns Gemeindeglieder fast
explosionsartig ansteigend berichtet haben, dass sie in ihrem privaten Umfeld,
also angefangen von der Schule, im Freizeitbereich deutlich mehr auf antisemitische
(…) Aussagen gestoßen sind, fast gestoßen wurden, und dass dort auch abzulesen
war, es verändert sich etwas zum Negativen, zum Schlechteren in unserer
Gesellschaft. Ja, muss man leider sagen.
Autor: Zu
der Zeit als die Nazis Werner Richard Heymann und allen anderen Juden das Lebensrecht
in Deutschland absprachen, da haben auch die Kirchen, die meisten in den
Kirchen auf jeden Fall, geschwiegen oder es sogar gut gefunden. Und heute? Wie
steht es um das Verhältnis von Christen und Juden in Deutschland? Ich war
dabei, als wir die Synagoge in Bonn nach den Anschlägen im Mai bewacht haben.
Ich verstehe das als meine Aufgabe, mich an die Seite der Juden und der
jüdischen Gemeinde zu stellen. Jesus war Jude. Ich kann meinen Glauben nicht
begreifen ohne die jüdischen Wurzeln meines Glaubens zu kennen. Aber die
Menschen, die mir von den Wurzeln meines Glaubens berichten können, die denken
nach, unser Land zu verlassen. Abraham Lehrer:
O-Ton 4 Lehrer: Man setzt sich damit auseinander: Bin
ich hier noch richtig? Bin ich hier noch gewollt? Bin ich hier vielleicht auch
nur wirklich geduldet? Muss ich mich doch mit den `gepackten Koffern´
auseinandersetzen, auch wenn ich sie im Moment noch nicht gepackt habe. Aber wo
diese Koffer stehen, das wissen wir sehr genau.
Autor: Juden,
die jüdischen Gemeinden bei uns brauchen unsere Solidarität und unsere
Empathie, dass wir Ihre Sorgen und Ängste verstehen. Deutlicher als wir es
bislang gezeigt haben. Ich habe von
vielen Juden in meiner Stadt gelernt und verstanden, wie wichtig gerade auch der
Staat Israel für sie ist. Ich wünschte so sehr, dass meine jüdischen
Freundinnen und Freunde nicht darüber nachdenken müssten, aber:
O-Ton 5 Lehrer: Alle wissen, dass, wenn sie wollen,
können sie jederzeit nach Israel gehen und finden dort Aufnahme und in gewisser
Hinsicht eine Sicherheit. Dass sie dort in ein Land kommen, wo Raketen fliegen
und wo auch Krieg geführt werden kann, das wissen sie. Aber für den Fall, dass
man aus Deutschland, aus Europa oder sonst wo aus der Welt weggehen muss, ist
Israel der Rettungsanker für jeden Juden auf der Welt. Das ist (bekannt und)
jedem bewusst. Und das macht bestimmte Entscheidungen auch immer leichter.
Musik 4: Comedian
Harmonists: Irgendwo, auf der Welt
9:40-11:00 = 1:20
Irgendwo,
auf der Welt, gibt’s ein kleines bisschen Glück / Und ich träum davon in jedem
Augenblick …
Autor (overvoice): Es berührt mich tief, dass Werner Richard Heymann nach dem Holocaust,
nach dem Krieg, freiwillig von Hollywood nach Deutschland zurückgekehrt ist. Dorthin,
wo er sich am 9. April 1933, wie es damals so zynisch offiziell hieß,
„abgemeldet hatte“. Und wo schon 1933 sein Name als Komponist bei allen Veröffentlichungen
entfernt worden war und es ab 1935 verboten war, seine Melodien noch zu
spielen.
Zurück nach Deutschland, wie übrigens
auch sein Texter Robert Gilbert und andere Juden auch. Trotz allem, was
geschehen ist. Obwohl Heymann in den USA mit vier Oscar-Normierungen für
Filmmusiken weiterhin große Erfolge hatte. Er erzählt amerikanischen Freunden von
dem Gefühl wie es ist, als er 1951 erstmals wieder deutschen Boden betritt:
Sprecher: Es ist eine merkwürdige Sache. Man kann
sich zehntausendmal innerlich sagen: Sie haben es ja so gewollt, sie haben den
Krieg angefangen, sie haben sechs Millionen Juden vergast – es hilft alles
nichts: Wenn man die ersten zerschossenen Stadtteile sieht, überfällt einen der
Gedanke, was es für ein Wahnsinn ist, dass Menschen sich so etwas antun können,
und ich habe wieder einmal heulen müssen. Nicht aus Mitleid, sondern aus Verzweiflung,
dass 2000 Jahre nach der Bergpredigt so etwas immer noch möglich ist.
Autor: Werner
Richard Heymann und Robert Gilbert sind Anfang der 1950er Jahre zurückgekehrt. Dass
Juden auch heute in Deutschland leben und auch bleiben wollen, ist ein großes
Glück für unser Land. Diese Hoffnung ist auch so etwas wie der rote Faden des
Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Noch einmal Abraham
Lehrer aus der Jüdischen Gemeinde Köln:
O-Ton 6 Lehrer: Aber trotzdem ist das Leben in
Deutschland ein schönes Leben. Ein Leben, wo ich glaube, dass jüdische Kultur,
jüdische Religion sich entfalten kann. Dass wir daran Interesse haben zum
Beispiel mit diesem Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ oder
in Köln, jüdisches Leben noch erfahrbarer, noch näher zu bringen,
Ressentiments, Vorurteile abzubauen, ist etwas, was mich sehr bewegt, was Sie
und mich bewegt.
Autor: Werner
Richard Heymann sucht in Deutschland nach einem humanitären Neuanfang, schreibt
sein Biograph Wolfgang Trautwein. Er sei nicht verbittert gewesen – und doch,
wer mag es verdenken, fremdelt Heymann erst einmal in seiner alten Heimat:
Sprecher: Ich hätte es
nicht für möglich gehalten, dass man in einer Stadt, in der man zwanzig Jahre
gelebt hat, auf einer Hauptstraße stehen kann und keinerlei Ahnung hat, wo man
sich befindet. Die Häuser, die ich kannte, standen nicht mehr. Ich war am
ersten Abend auf dem Kurfürstendamm und glaubte mich in einer fremden, völlig
gespenstischen Stadt. Ich wusste nicht einen Menschen, den ich hätte anrufen
können.
Autor: So
schreibt Heymann in seinen Memoiren. Berlin bleibt für ihn ein Intermezzo. Er
zieht nach München. Heiratet, ein viertes Mal, wird noch einmal „sehr glücklich“,
wie er sagt, und zum ersten und einzigen Mal Vater. In der Schweiz bezieht er
einen zweiten Wohnsitz, ein Häuschen in Locarno. Dort um die Ecke lebt auch
sein alter Musikfreund und Texter Robert Gilbert. 1961 stirbt Heymann, gerade
65 Jahre alt geworden, in München an den Folgen eines Schlaganfalls. Robert Gilbert
hält die Grabrede.
Ein Jahr zuvor hatte Heymann
noch an Eugen Kogon geschrieben, einen der bedeutenden deutschen Publizisten
der Nachkriegszeit, auch er Kind einer jüdischen Mutter. Es ging um einen
Fernsehbeitrag über junge Antisemiten:
Sprecher: Mein Beruf bringt es mit sich, ein sehr
feines Gespür zu haben für Dinge, das Publikum bewegen. Glauben Sie nicht, dass
es an der Zeit ist, dass man die deutsche Jugend überhaupt erst einmal darüber
informiert, wer und was Juden sind? Sie über ein paar der gröbsten Lügen, die
wir deutschen Juden damals mehr oder weniger verteidigungs- und hilflos hinnehmen
mussten aufzuklären? Dass Einstein, Mendelssohn, Heine und Tucholsky Juden
waren. Christus, Karl Marx, Sigmund Freud, die Reihe lässt sich fortsetzen,
Juden waren? Mir scheint es wichtig, dass die Juden endlich mal aus der
dauernden Abwehrstellung herausgenommen werden. Wir Juden, die heute wieder in
Deutschland leben und wirken, tun das aus Liebe zu diesem Land. Die meisten von
uns wären auch im Ausland nicht verhungert.
Autor: So
der Musiker und Komponist Werner Richard Heymann 1961. Vor genau 60 Jahren. Die
Sitze klingen als wären sie von heute.
Musik Nina Hagen: Irgendwo,
auf der Welt
Album: Nina Hagen & The Capitol
Dance Orchester: Irgendwo auf der Welt; Interpretin: Nina Hagen; Titel:
Irgendwo auf der Welt (Track 1); Musik: Werner Richard Heymann
Text: Robert Gilbert; Label: Universal Music Group / Island Records 2006;
LC: 9877538
14:29-15:06
= 0:37
Ich
geb die Hoffnung niemals auf / Irgendwo, auf der Welt, gibt’s ein kleines
bisschen Glück / Und ich träum davon in jedem Augenblick. …
Autor: Die
Rocksängerin Nina Hagen. „Irgendwo
auf der Welt“. Das Lied gibt es inzwischen in unzähligen Versionen. Viele Melodien
von Werner Richard Heymann, auch von Friedrich Holländer, einem anderen großen
Musiker aus jüdischer Familie, sie werden heute in Deutschland wieder oft
gespielt. Was für ein Glück!
Die feinsinnige Melancholie dieser
Musik, diese zarte Sehnsucht nach Glück, das war für die Nazis „undeutsch“. Doch
diese Musik lebt weiter, auch als deutsches Volksgut. Ein Segen finde ich.
1957: Als Werner Richard
Heymann wieder die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen möchte, wird er von
einem Beamten im Münchner Rathaus aufgefordert: „Singen Sie mal ein deutsches
Volkslied!“ – Warum? – „Zum Nachweis, dass Sie mit der deutschen Sprache vertraut
sind und unserem Volkstum.“ Heymann stimmt eines seiner eigenen Lieder an: „Das
gibt´s nur einmal, das kommt nicht wieder.“ Der Beamte ist zufrieden. Ironie
der Geschichte? Hat er gewusst, wen er da vor sich hatte?
Musik 2 Lilian Harvey: Das
gibt´s nur einmal (instrumental)
15:47-16:28
= 0:41
O-Ton 7 Lehrer: Wissen Sie, ich habe vor vielen Jahren
meiner Frau mal versprochen, die gesagt hast: Du beobachtest das sehr intensiv,
du musst sagen, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, wenn´s dann soweit ist, dann
musst du dich melden, dann gehen wir und dann lassen wir auch alles hier stehen
und liegen. Aber diese Situation hat sich bisher nie ergeben und dass ich sie
so eingeschätzt habe, dass Leib und Leben bedroht sind.
Autor: Ich
wünsche mir, dass Juden auch in Zukunft sicher und gerne in Deutschland leben.
In 1700 Jahren noch – soweit kann ich nicht schauen. Aber heute und morgen und
übermorgen und dafür kann auch ich, kann jeder von uns etwas tun.
O-Ton 8 Lehrer: Was uns fehlt ist (…) der `Ruck durch
die Gesellschaft´. Wo sind die Lichterketten? Wobei es mir nicht im das Symbol
Lichterkette geht. Wo sind die Demonstrationen oder der Aufruf (…), dass man
mal einen Tag mit der Kippa durch die Stadt geht?
Autor: Ich
kann mich mit einem Stuhl vor eine Synagoge setzen und sagen: „Ich passe auf
dich auf, jüdische Gemeinde in meiner Stadt.“ So wie wir es hier nach der
Attacke auf die Synagoge im Mai in Bonn gemacht haben. Ich kann auch mal mit
einer Kippa durch die Stadt laufen. Und wenn Jude als Schimpfwort fällt? Ich
kann deutlich widersprechen. Auch Abraham Lehrer wünscht sich, dass eine breite
Schicht der Gesellschaft aktiv wird.
O-Ton 9 Lehrer: Und wenn man dann die Berichte (…)
sieht, dass die jüdische Gemeinschaft, dass für das einfache Gemeindemitglied
sichtbar wird: Diese Gesellschaft tut etwas und sagt den, ja Randalierenden und
Antisemiten und so: Bis hierhin und nicht weiter! Wir stehen für unsere
jüdischen Gesellschaftsteile ein. Wir wollen Judentum in unserem Land. Es kann
nicht sein, dass da, was es in die Medien schafft, immer nur die negativen
Berichte sind, wir wollen auch mal etwas Positives zeigen! Da kann deutlich
mehr geschehen. Das bringt wirklich das Vertrauen der Gemeindemitglieder
zurück.
Autor: Und
jeder von uns, Sie und ich, können etwas beitragen. Klare Kante zeigen: Wir
gegen Antisemitismus! Und das nicht irgendwann und irgendwo auf der Welt,
sondern hier und jetzt bei uns vor der eigenen Haustür. – Ihr Joachim Gerhardt
von der evangelischen Kirche in Bonn.
Musik:
Udo Linderberg: Irgendwo auf der Welt
Album: Udo Linderberg: Atlantic
Affairs; Titel: Irgendwo auf der Welt (Track 7); Interpret: Udo Lindenberg
& Die Prinzen; Musik: Werner Richard Heymann; Text: Robert Gilbert; Label:
BMG 2002; LC: 00835
18:12-20:00
= 1:48
Literatur:
Werner Richard Heymann: Eine Autobiographie im Telegrammstil, Programm-Einleger
der Württembergischen Staatstheater Stuttgart, Staatsschauspiel, zur
Uraufführung von „Kiki vom Montmatre“ 5.6.1954 (Werner-Richard-Heymann-Archiv)
Werner Richard Heymann: „Liebling,
mein Herz lässt dich grüßen“ – Der erfolgreichste Komponist der UFA-Zeit
erinnert sich, hrsg. Von Hubert Ortkemper, Mainz 2011 (Schott Verlag)
Uwe Seltmann: Wir sind da! – 1700
Jahre jüdisches Leben in Deutschland, Erlangen 2021 (Homunculus Verlag)
Wolfgang Trautwein: Jüdische
Miniaturen: Werner Richard Heymann – Berlin, Hollywood und kein zurück, Berlin
2011 (Verlag Hentrich & Hentrich)