Irgendwo auf der Welt

Das geistliche Wort | 08.08.2021 | 00:00 Uhr

Autor: „Sie

kennen mich nicht, aber Sie haben schon viel von mir gehört.“ Mit diesen Worten

spielt der Komponist Werner Richard Heymann in den 1950er Jahren Melodien an, die

jeder kennt. Und die noch heute populär sind. Was viele schon damals nicht wissen:

Werner Richard Heymann hat jüdische Wurzeln. 1933 ist er aus Nazideutschland

geflohen – und 1951 aus Hollywood zurückgekehrt. An ihn möchte ich heute erinnern.

An diesem Sonntag, den wir in der evangelischen Kirche „Israelsonntag“ nennen.

Und frage: Was wissen wir von Juden heute? Kennen Sie überhaupt einen

Mann, eine Frau jüdischen Glaubens? Und was für ein Verhältnis haben Juden und

Christen eigentlich?

Musik 1: Ein Freund, ein

guter Freund:

Titel: Ein Freund, ein guter Freund;

Album: Musik Heinz Rühmann 100 Jahre – Die größten Hits; Interpret: Heinz

Rühmann; Musik: Werner Richard Heymann; Text: Robert Gilbert;

Musik zu dem Film „Die Drei

von der Tankstelle“ / Uraufführung 1930, Regie Wilhelm Thiele, Produktion Erich

Pommer; Label: BMG Ariola 2002; LC: 00116

O:42-1:06 = 0:24

Ein Freund, ein guter

Freund / Das ist das Beste, was es gibt auf der Welt …

Autor: Zum Verhältnis

von Juden und Christen in Deutschland passt das Lied wohl kaum. Obwohl es

natürlich Freundschaften gibt zwischen Christen und Juden. Als am 12. Mai auf

die Synagoge in Bonn ein Anschlag verübt wird, da hat direkt im Anschluss ein

Bonner eine tolle Idee: Er stellt einen Stuhl vor die Synagoge, setzt sich

darauf und sagt: Ich bewache diese Haus und die Menschen und ihre Gemeinde. Ich

stelle mich – oder in diesem Fall: Ich setze mich – vor die Juden und bin für

sie da!

Musik

1: Ein Freund, ein guter Freund / Das ist das Schönste, was es gibt auf der

Welt

1:15-1:45

= 0:30

Autor: „Ein Freund, ein guter Freund“ – In dem Lied geht es

natürlich nicht um Gefahr und Solidarität. Werner

Richard Heymann schreibt das Stück 1930 für den Kinoklassiker „Die Drei von der

Tankstelle“ unter anderem mit großen Volksschauspieler Heinz Rühmann.

Heymann war vor 1933 wohl

einer der erfolgreichsten Filmkomponisten in Deutschland. 1886 ist er in

Königsberg geboren. Er beginnt mit ernster, mit klassischer Musik. Wird dann ein

Mitbegründer des musikalischen Kabaretts in Berlin in der Weimarer Republik und

Generalmusikdirektor der UFA, der großen deutschen Filmgesellschaft. Dann kommt

der Tonfilm Ende der 1920-er Jahre. Und Werner Richard Heymann komponiert Hit

auf Hit:

Musik 2: Lilian Harvey: Das

gibt´s nur einmal

Titel: Das gibt´s nur einmal; Interpretin:

Lilian Harvey; Musik: Werner Richard Heymann

Text: Robert Gilbert; Musik

zu dem Film „Der Kongreß tanzt“ / Uraufführung 1931; Label: Promo Sound Ltd

2008; LC: unbekannt

1:53-2:21

= 0:28

Heut

werden alle Märchen wahr, heut wird mir eines klar: Das gibt´s nur einmal, das

kommt nicht wieder, das ist zu schön, um wahr zu sein. So wie ein Wunder fällt

auf uns nieder vom Paradies ein gold’ner Schein.

Autor: Märchenhaft

und paradiesisch – so war sein Leben nicht. Heymanns Vater war Jude. In

Königsberg lebte die Familie, erzählt er selbst, in einem religiös sehr offenen,

bürgerlichen Haus. Sein Vater hatte als Offizier im Krieg gegen Frankreich

gekämpft. Ein sogenannter „assimilierter deutschnationaler Jude“. Da gab es

damals viele. Zu den Empfängen daheim, erinnert sich Heymann, kamen oft der

Rabbiner, der Bischof, der evangelische Probst und der General zusammen. Seine

Mutter sorgte dafür, dass der kleine Werner Richard mit acht Jahren getauft

wurde, evangelisch. Die jüdische Religion sollte dem Sohn keine Umstände

machen, wünschte sich die Mutter.

Es half ihm nichts. Der

Rassenwahn der Nazis zerstörte alles. Inklusive der Hoffnung so vieler Juden in

Deutschland, mit maximaler Anpassung sich vor dem Unheil des Antisemitismus schützen

zu können. Werner Richard Heymann floh aus Berlin ins Exil.

O-Ton 1 Lehrer: Das Modell `Anpassung´ ist

gescheitert. Das hat (…) weder zwischen 1933 und 1945 geholfen, noch in den

Zeiten danach.

Autor: sagt

Abraham Lehrer. Er ist Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln. Er kennt genau die

Geschichten so vieler jüdischer Biographien, von Menschen, die hofften

irgendwie durchzukommen. Nur nicht auffallen. Nur nicht auf dem Radar der

Hetzer und Antisemiten erscheinen. Die Synagogengemeinde in Köln ist die mit

1700 Jahren älteste jüdische Gemeinde in Europa nördlich der Alpen. Und das ist

dieses Jahr Anlass für ein Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in

Deutschland“. „Wir wollen unseren

Kindern heute anderes mit auf den Weg geben“, sagt Abraham Lehrer:

O-Ton 2 Lehrer: Dass sie bewusste Juden sind, aber

auch selbstbewusste Juden sind, dass sie zumindest die Grundzüge ihrer Religion

und ihrer Herkunft und alles kennen, und damit offen und ehrlich auf dem

Schulhof, in der Freizeit, oder später in der Arbeitswelt umgehen können und

dass sie, wenn sie auf Antisemitismus stoßen, ein bisschen dagegen gefeit sind

oder wissen, wie man damit umgehen kann.

Autor: Der Hass

auf Juden, die immer wieder schuld sein sollen für das, was Angst macht: die

Pest im Mittelalter, die Wirtschaftskrise in der Weimarer Republik, Corona

heute. Es zieht sich wie ein bitterer Faden durch die jüdische Geschichte.

Fast 2000 antisemitische

Straftaten wurden im letzten Jahr in Deutschland dokumentiert. Noch gar nicht

mitgezählt sind da die judenfeindlichen Demonstrationen im Mai dieses Jahres,

die zahlreichen Angriffe auf Personen oder Einrichtungen – so wie in Bonn. In

seiner Gemeinde in Köln erleben sie, erzählt Abraham Lehrer, fast jeden Tag

Antisemitismus. Und er kennt viele, die sich inzwischen fragen, ob sie in

Deutschland noch richtig sind. Anders als in der Weimarer Zeit, aber doch

ähnlich.

Musik 3: Comedian

Harmonists: Einmal schafft´s jeder

Titel: Einmal schaffts jeder;

Interpret: Comedian Harmonists; Musik: Werner Richard Heymann; Text: Walter

Reisch; Marschfoxtrott a.d.Tonfilm "Der Blonde Traum"; Label:

"His Master’s Voice" (rpm78) / ZYX Music 2004

4:55-5:41

= 0:46

Einmal

schafft’s jeder. Nur auf dich selbst kommt es an. / Zeig dem Leben frech die

Zähne. / Mal hat jeder seine Strähne …

Autor (overvoice): Auch ein Lied von Werner Richard Heymann: „Einmal schafft´s jeder“. Gesungen

von den Comedian Harmonists, auch sie bestanden in der Hochzeit ihres Erfolges

zur Hälfte aus Menschen mit jüdischen Glauben.

Als das Lied erscheint, dröhnen

schon die militaristischen Aufmärsche der Nazis am Horizont. Da drückt die

Arbeitslosigkeit der Weimarer Zeit viele Menschen in die Armut. Da wankt die

junge Demokratie in Deutschland, von ihren Feinden rechts wie links verachtet –

und diese Musiker komponieren und singen Lieder voller Leichtigkeit, Zuversicht:

Das Leben geht weiter! – Ist das naiv?

Musik 4: Comedian Harmonists: Irgendwo, auf der Welt

Titel: Irgendwo auf der Welt;

Interpret: The Comedian Harmonists; Musik: Werner Richard Heymann; Text: Robert

Gilbert; Label: Europe 1998 / Golden Century Music 2019

5:45-7:16 = 1:31

Irgendwo, auf der Welt,

gibt’s ein kleines bisschen Glück / Und ich träum davon in jedem Augenblick /

Irgendwo, auf der Welt, gibt’s ein bisschen Seligkeit / Und ich träum davon

schon lange, lange Zeit.

Autor (overvoice): Die Melodie auch dieses Liedes stammt von Werner Richard Heymann. Der

Text dazu ist von Robert Gilbert, wie viele Texte zu Heymanns Liedern. Auch die

Eltern von Robert Gilbert waren laut Geburtsurkunde „mosaischen Glaubens“ und

auch Gilbert musste emigrieren, über Wien und Paris nach New York. Möge es doch

„irgendwo auf der Welt“ ein kleines bisschen Glück geben! Dieses Lied für den

deutschen Film-Klassiker „Ein blonder Traum“ von 1932, es wird zu einer Sehnsuchts-Hymne

vieler Menschen im Exil in dieser Zeit.

Musik 4: Comedian Harmonists:

Irgendwo, auf der Welt

Ich

hab so Sehnsucht, ich träum so oft / Bald wird das Glück mir nah sein …

Autor: Das

Lied ist jetzt fast 90 Jahre alt. Doch erschreckend holt die jüdischen

Gemeinden in Deutschland die Angst wieder ein. Eigentlich war sie nie weg, sagt

der Kölner Jude Abraham Lehrer, der auch stellvertretender Vorsitzender des

Zentralrats der Juden in Deutschland ist. Der Antisemitismus nimmt wieder deutlich

zu, sagt er, auch in Deutschland, und er wird vor allem hemmungsloser

öffentlich geäußert:

O-Ton 3 Lehrer: Was uns Gemeindeglieder fast

explosionsartig ansteigend berichtet haben, dass sie in ihrem privaten Umfeld,

also angefangen von der Schule, im Freizeitbereich deutlich mehr auf antisemitische

(…) Aussagen gestoßen sind, fast gestoßen wurden, und dass dort auch abzulesen

war, es verändert sich etwas zum Negativen, zum Schlechteren in unserer

Gesellschaft. Ja, muss man leider sagen.

Autor: Zu

der Zeit als die Nazis Werner Richard Heymann und allen anderen Juden das Lebensrecht

in Deutschland absprachen, da haben auch die Kirchen, die meisten in den

Kirchen auf jeden Fall, geschwiegen oder es sogar gut gefunden. Und heute? Wie

steht es um das Verhältnis von Christen und Juden in Deutschland? Ich war

dabei, als wir die Synagoge in Bonn nach den Anschlägen im Mai bewacht haben.

Ich verstehe das als meine Aufgabe, mich an die Seite der Juden und der

jüdischen Gemeinde zu stellen. Jesus war Jude. Ich kann meinen Glauben nicht

begreifen ohne die jüdischen Wurzeln meines Glaubens zu kennen. Aber die

Menschen, die mir von den Wurzeln meines Glaubens berichten können, die denken

nach, unser Land zu verlassen. Abraham Lehrer:

O-Ton 4 Lehrer: Man setzt sich damit auseinander: Bin

ich hier noch richtig? Bin ich hier noch gewollt? Bin ich hier vielleicht auch

nur wirklich geduldet? Muss ich mich doch mit den `gepackten Koffern´

auseinandersetzen, auch wenn ich sie im Moment noch nicht gepackt habe. Aber wo

diese Koffer stehen, das wissen wir sehr genau.

Autor: Juden,

die jüdischen Gemeinden bei uns brauchen unsere Solidarität und unsere

Empathie, dass wir Ihre Sorgen und Ängste verstehen. Deutlicher als wir es

bislang gezeigt haben. Ich habe von

vielen Juden in meiner Stadt gelernt und verstanden, wie wichtig gerade auch der

Staat Israel für sie ist. Ich wünschte so sehr, dass meine jüdischen

Freundinnen und Freunde nicht darüber nachdenken müssten, aber:

O-Ton 5 Lehrer: Alle wissen, dass, wenn sie wollen,

können sie jederzeit nach Israel gehen und finden dort Aufnahme und in gewisser

Hinsicht eine Sicherheit. Dass sie dort in ein Land kommen, wo Raketen fliegen

und wo auch Krieg geführt werden kann, das wissen sie. Aber für den Fall, dass

man aus Deutschland, aus Europa oder sonst wo aus der Welt weggehen muss, ist

Israel der Rettungsanker für jeden Juden auf der Welt. Das ist (bekannt und)

jedem bewusst. Und das macht bestimmte Entscheidungen auch immer leichter.

Musik 4: Comedian

Harmonists: Irgendwo, auf der Welt

9:40-11:00 = 1:20

Irgendwo,

auf der Welt, gibt’s ein kleines bisschen Glück / Und ich träum davon in jedem

Augenblick …

Autor (overvoice): Es berührt mich tief, dass Werner Richard Heymann nach dem Holocaust,

nach dem Krieg, freiwillig von Hollywood nach Deutschland zurückgekehrt ist. Dorthin,

wo er sich am 9. April 1933, wie es damals so zynisch offiziell hieß,

„abgemeldet hatte“. Und wo schon 1933 sein Name als Komponist bei allen Veröffentlichungen

entfernt worden war und es ab 1935 verboten war, seine Melodien noch zu

spielen.

Zurück nach Deutschland, wie übrigens

auch sein Texter Robert Gilbert und andere Juden auch. Trotz allem, was

geschehen ist. Obwohl Heymann in den USA mit vier Oscar-Normierungen für

Filmmusiken weiterhin große Erfolge hatte. Er erzählt amerikanischen Freunden von

dem Gefühl wie es ist, als er 1951 erstmals wieder deutschen Boden betritt:

Sprecher: Es ist eine merkwürdige Sache. Man kann

sich zehntausendmal innerlich sagen: Sie haben es ja so gewollt, sie haben den

Krieg angefangen, sie haben sechs Millionen Juden vergast – es hilft alles

nichts: Wenn man die ersten zerschossenen Stadtteile sieht, überfällt einen der

Gedanke, was es für ein Wahnsinn ist, dass Menschen sich so etwas antun können,

und ich habe wieder einmal heulen müssen. Nicht aus Mitleid, sondern aus Verzweiflung,

dass 2000 Jahre nach der Bergpredigt so etwas immer noch möglich ist.

Autor: Werner

Richard Heymann und Robert Gilbert sind Anfang der 1950er Jahre zurückgekehrt. Dass

Juden auch heute in Deutschland leben und auch bleiben wollen, ist ein großes

Glück für unser Land. Diese Hoffnung ist auch so etwas wie der rote Faden des

Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Noch einmal Abraham

Lehrer aus der Jüdischen Gemeinde Köln:

O-Ton 6 Lehrer: Aber trotzdem ist das Leben in

Deutschland ein schönes Leben. Ein Leben, wo ich glaube, dass jüdische Kultur,

jüdische Religion sich entfalten kann. Dass wir daran Interesse haben zum

Beispiel mit diesem Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ oder

in Köln, jüdisches Leben noch erfahrbarer, noch näher zu bringen,

Ressentiments, Vorurteile abzubauen, ist etwas, was mich sehr bewegt, was Sie

und mich bewegt.

Autor: Werner

Richard Heymann sucht in Deutschland nach einem humanitären Neuanfang, schreibt

sein Biograph Wolfgang Trautwein. Er sei nicht verbittert gewesen – und doch,

wer mag es verdenken, fremdelt Heymann erst einmal in seiner alten Heimat:

Sprecher: Ich hätte es

nicht für möglich gehalten, dass man in einer Stadt, in der man zwanzig Jahre

gelebt hat, auf einer Hauptstraße stehen kann und keinerlei Ahnung hat, wo man

sich befindet. Die Häuser, die ich kannte, standen nicht mehr. Ich war am

ersten Abend auf dem Kurfürstendamm und glaubte mich in einer fremden, völlig

gespenstischen Stadt. Ich wusste nicht einen Menschen, den ich hätte anrufen

können.

Autor: So

schreibt Heymann in seinen Memoiren. Berlin bleibt für ihn ein Intermezzo. Er

zieht nach München. Heiratet, ein viertes Mal, wird noch einmal „sehr glücklich“,

wie er sagt, und zum ersten und einzigen Mal Vater. In der Schweiz bezieht er

einen zweiten Wohnsitz, ein Häuschen in Locarno. Dort um die Ecke lebt auch

sein alter Musikfreund und Texter Robert Gilbert. 1961 stirbt Heymann, gerade

65 Jahre alt geworden, in München an den Folgen eines Schlaganfalls. Robert Gilbert

hält die Grabrede.

Ein Jahr zuvor hatte Heymann

noch an Eugen Kogon geschrieben, einen der bedeutenden deutschen Publizisten

der Nachkriegszeit, auch er Kind einer jüdischen Mutter. Es ging um einen

Fernsehbeitrag über junge Antisemiten:

Sprecher: Mein Beruf bringt es mit sich, ein sehr

feines Gespür zu haben für Dinge, das Publikum bewegen. Glauben Sie nicht, dass

es an der Zeit ist, dass man die deutsche Jugend überhaupt erst einmal darüber

informiert, wer und was Juden sind? Sie über ein paar der gröbsten Lügen, die

wir deutschen Juden damals mehr oder weniger verteidigungs- und hilflos hinnehmen

mussten aufzuklären? Dass Einstein, Mendelssohn, Heine und Tucholsky Juden

waren. Christus, Karl Marx, Sigmund Freud, die Reihe lässt sich fortsetzen,

Juden waren? Mir scheint es wichtig, dass die Juden endlich mal aus der

dauernden Abwehrstellung herausgenommen werden. Wir Juden, die heute wieder in

Deutschland leben und wirken, tun das aus Liebe zu diesem Land. Die meisten von

uns wären auch im Ausland nicht verhungert.

Autor: So

der Musiker und Komponist Werner Richard Heymann 1961. Vor genau 60 Jahren. Die

Sitze klingen als wären sie von heute.

Musik Nina Hagen: Irgendwo,

auf der Welt

Album: Nina Hagen & The Capitol

Dance Orchester: Irgendwo auf der Welt; Interpretin: Nina Hagen; Titel:

Irgendwo auf der Welt (Track 1); Musik: Werner Richard Heymann

Text: Robert Gilbert; Label: Universal Music Group / Island Records 2006;

LC: 9877538

14:29-15:06

= 0:37

Ich

geb die Hoffnung niemals auf / Irgendwo, auf der Welt, gibt’s ein kleines

bisschen Glück / Und ich träum davon in jedem Augenblick. …

Autor: Die

Rocksängerin Nina Hagen. „Irgendwo

auf der Welt“. Das Lied gibt es inzwischen in unzähligen Versionen. Viele Melodien

von Werner Richard Heymann, auch von Friedrich Holländer, einem anderen großen

Musiker aus jüdischer Familie, sie werden heute in Deutschland wieder oft

gespielt. Was für ein Glück!

Die feinsinnige Melancholie dieser

Musik, diese zarte Sehnsucht nach Glück, das war für die Nazis „undeutsch“. Doch

diese Musik lebt weiter, auch als deutsches Volksgut. Ein Segen finde ich.

1957: Als Werner Richard

Heymann wieder die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen möchte, wird er von

einem Beamten im Münchner Rathaus aufgefordert: „Singen Sie mal ein deutsches

Volkslied!“ – Warum? – „Zum Nachweis, dass Sie mit der deutschen Sprache vertraut

sind und unserem Volkstum.“ Heymann stimmt eines seiner eigenen Lieder an: „Das

gibt´s nur einmal, das kommt nicht wieder.“ Der Beamte ist zufrieden. Ironie

der Geschichte? Hat er gewusst, wen er da vor sich hatte?

Musik 2 Lilian Harvey: Das

gibt´s nur einmal (instrumental)

15:47-16:28

= 0:41

O-Ton 7 Lehrer: Wissen Sie, ich habe vor vielen Jahren

meiner Frau mal versprochen, die gesagt hast: Du beobachtest das sehr intensiv,

du musst sagen, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, wenn´s dann soweit ist, dann

musst du dich melden, dann gehen wir und dann lassen wir auch alles hier stehen

und liegen. Aber diese Situation hat sich bisher nie ergeben und dass ich sie

so eingeschätzt habe, dass Leib und Leben bedroht sind.

Autor: Ich

wünsche mir, dass Juden auch in Zukunft sicher und gerne in Deutschland leben.

In 1700 Jahren noch – soweit kann ich nicht schauen. Aber heute und morgen und

übermorgen und dafür kann auch ich, kann jeder von uns etwas tun.

O-Ton 8 Lehrer: Was uns fehlt ist (…) der `Ruck durch

die Gesellschaft´. Wo sind die Lichterketten? Wobei es mir nicht im das Symbol

Lichterkette geht. Wo sind die Demonstrationen oder der Aufruf (…), dass man

mal einen Tag mit der Kippa durch die Stadt geht?

Autor: Ich

kann mich mit einem Stuhl vor eine Synagoge setzen und sagen: „Ich passe auf

dich auf, jüdische Gemeinde in meiner Stadt.“ So wie wir es hier nach der

Attacke auf die Synagoge im Mai in Bonn gemacht haben. Ich kann auch mal mit

einer Kippa durch die Stadt laufen. Und wenn Jude als Schimpfwort fällt? Ich

kann deutlich widersprechen. Auch Abraham Lehrer wünscht sich, dass eine breite

Schicht der Gesellschaft aktiv wird.

O-Ton 9 Lehrer: Und wenn man dann die Berichte (…)

sieht, dass die jüdische Gemeinschaft, dass für das einfache Gemeindemitglied

sichtbar wird: Diese Gesellschaft tut etwas und sagt den, ja Randalierenden und

Antisemiten und so: Bis hierhin und nicht weiter! Wir stehen für unsere

jüdischen Gesellschaftsteile ein. Wir wollen Judentum in unserem Land. Es kann

nicht sein, dass da, was es in die Medien schafft, immer nur die negativen

Berichte sind, wir wollen auch mal etwas Positives zeigen! Da kann deutlich

mehr geschehen. Das bringt wirklich das Vertrauen der Gemeindemitglieder

zurück.

Autor: Und

jeder von uns, Sie und ich, können etwas beitragen. Klare Kante zeigen: Wir

gegen Antisemitismus! Und das nicht irgendwann und irgendwo auf der Welt,

sondern hier und jetzt bei uns vor der eigenen Haustür. – Ihr Joachim Gerhardt

von der evangelischen Kirche in Bonn.

Musik:

Udo Linderberg: Irgendwo auf der Welt

Album: Udo Linderberg: Atlantic

Affairs; Titel: Irgendwo auf der Welt (Track 7); Interpret: Udo Lindenberg

& Die Prinzen; Musik: Werner Richard Heymann; Text: Robert Gilbert; Label:

BMG 2002; LC: 00835

18:12-20:00

= 1:48

Literatur:

Werner Richard Heymann: Eine Autobiographie im Telegrammstil, Programm-Einleger

der Württembergischen Staatstheater Stuttgart, Staatsschauspiel, zur

Uraufführung von „Kiki vom Montmatre“ 5.6.1954 (Werner-Richard-Heymann-Archiv)

Werner Richard Heymann: „Liebling,

mein Herz lässt dich grüßen“ – Der erfolgreichste Komponist der UFA-Zeit

erinnert sich, hrsg. Von Hubert Ortkemper, Mainz 2011 (Schott Verlag)

Uwe Seltmann: Wir sind da! – 1700

Jahre jüdisches Leben in Deutschland, Erlangen 2021 (Homunculus Verlag)

Wolfgang Trautwein: Jüdische

Miniaturen: Werner Richard Heymann – Berlin, Hollywood und kein zurück, Berlin

2011 (Verlag Hentrich & Hentrich)

  • 8.8.2021
  • Joachim Gerhardt
  • © HGVorndran/SchalomNet