Ja, es ist eine Katastrophe – was in
Afghanistan passiert oder besser nicht passiert ist.
Natürlich kann man darüber streiten, warum „man“
die Taliban unterschätzt hat.
„Man“ das sind die Deutschen und ihre
Verbündeten. Doch das Streiten hat Zeit.
Das Gebot der Stunde ist, Menschen(leben) zu
retten. So viele wie möglich. Die Ortskräfte, die Journalisten, die kritisch
berichtet haben, die Frauen, die für ihre Rechte gekämpft haben. Und die Kinder,
die ihre Eltern verloren haben und umherirren.
„Was ihr einem meiner geringsten Brüder, einer
meiner geringsten Schwestern angetan habt, das habt ihr mir angetan“, sagt
Jesus (Die Bibel, Matthäus 25,40). Ich bin geflohen und Ihr wolltet mich nicht
in euer Land lassen. Habt gezeigt, wie gründlich deutsche Bürokratie sein kann,
habt Euch verwickelt in Diskussionen über 2015. Als Millionen Syrer vor dem
Krieg geflohen sind – auch nach Deutschland. Doch 2015 darf sich nicht
wiederholen, meint Ihr, denn es ist ja Wahlkampf. Da will man die Flüchtlinge weitestgehend
raushalten aus Deutschland. Fliehen dürfen sie, aber bitte nur nach Pakistan,
Usbekistan und allenfalls noch in die Türkei. Da will man sie versorgen. Das
Zauberwort ist UNHCR. Die internationale Flüchtlingshilfe. Immerhin soll der
UNHCR diesmal mehr Geld bekommen als 2015. Damit die Menschen in den Lagern
nicht wieder hungern müssen.
Kennen Sie eigentlich Menschen aus
Afghanistan? Ich kenne keinen einzigen Afghanen – weder Mann noch Frau. Ich
kenne Rumänen, Albaner, Griechen, Italiener, Russen, Polen, Afrikaner, Syrer –
Männer und Frauen und Kinder. Entzückende Kinder. Sie färben mir die Haare,
können sehr gut kochen, sind Freunde, Freundinnen, singen bei Gottesdiensten,
operieren mich, lachen mit mir, erzählen von zu Hause, lassen mich so um den
Globus reisen und staunen. Manchmal denke ich, was ich von ihnen alles noch
lernen kann. Diese Hilfsbereitschaft, diese Freundlichkeit, dieser
Familiensinn. Manchmal denke ich, einige würden mir wirklich helfen, wenn ich
in Not bin. Und ich?
Ich will, dass sie kommen, die Menschen aus
Afghanistan, dass wir die Grenzen für die Gegner der Taliban öffnen, damit sie
nicht erschossen werden, ihre menschlichen Überreste an Flugzeugen kleben, sie
in Lagern vor sich hin vegetieren. Ein afghanischer Mann aus Berlin sagt im
Fernsehen: „Wir sind doch auch Menschen“. Dann steigen ihm die Tränen in die
Augen und rollen in seinen dunklen Bart. Er wendet sich ab – die Tränen sind
ihm peinlich. Ein anderer sagt: „Wir wollen doch nur wie Menschen leben
(dürfen)“. Mein Gott: Ein Mensch sagt, er will wie ein Mensch leben! Und Jesus
sagt: Ich bin der Afghane. Was Ihr ihm antut, tut Ihr mir an. Egal ob Mann,
Frau oder Kind.
Ein Kollege sagt: Was sollen wir jetzt sagen
im Radio? Wir können doch nicht immer nur beten. Stimmt. Beten und helfen.
Yes we can. Wir können helfen. 2015 –
unvergessliche Bilder. Diese Willkommenskultur! Menschen helfen Menschen in der
Not. Yes we can. Auch 2021.
Redaktion:
Landespfarrerin Petra Schulze
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