Guten
Morgen!
Dieses
Bild kennt fast jeder. Ein paar Kinder laufen auf der Straße – dem Betrachter entgegen.
Sie schreien, weinen, sie fliehen vor den bedrohlichen dunklen Rauchschwaden im
Hintergrund. In der Mitte ein Mädchen, neun Jahre alt, nackt. Ihr Gesicht ist
von Angst und Schmerz verzerrt, die Arme hat sie seitlich von sich gestreckt.
Soldaten sind im Hintergrund.
Haben
Sie das Bild vor Augen? Wer es gesehen hat, vergisst es nicht. Das Bild
entstand am 8. Juni 1972 in dem Dorf Trang Bang im Süden Vietnams. Das Grauen
des Mädchens, das vor dem tödlichen Napalm um sein nacktes Leben rennt, ging um
die Welt.
Das
Pressefoto des Fotografen Nick Út hatte eine große Wirkung. Es trug dazu bei,
dass die USA und Nordvietnam ein halbes Jahr später einen Waffenstillstand
vereinbarten und dass der Vietnam-Krieg 1975 schließlich beendet wurde.
Als
31-jährige Frau ist Kim Phúc mit ihrem Mann aus Vietnam nach Kanada geflohen.
Sie wurde Christin. 1996 kam es zu einem medienwirksamen Zusammentreffen mit
einem Vietnam-Veteranen, dem ehemaligen US-Captain John Plummer. Er behauptete,
er sei damals für den Bombenangriff verantwortlich gewesen – was nicht stimmt.
Kim Phúc vergab ihm vor laufender Kamera. Sie wurde daraufhin von der Unesco
zur „Botschafterin für eine Kultur des Friedens“ ernannt. Sie gründete eine Stiftung,
mit der sie sich für kriegsgeschädigte Kinder einsetzt. In aller Welt ist Kim
Phúc seitdem als Friedensbotschafterin unterwegs.
Auch
wenn der Vietnam-Veteran John Plummer nicht die Wahrheit gesagt hatte – dieser
eine Moment, den das später preisgekrönte Bild festhält, dieser eine Moment
trägt eine umfassende, tiefere Wahrheit in sich.
Ja, es
waren zwar Vietnamesen, die hier – ungewollt – ihre eigenen Landsleute mit der
schrecklichen Waffe Napalm terrorisiert haben. Aber das Mädchen wurde doch Opfer
des schmutzigen Krieges zwischen Amerika gemeinsam mit Südvietnam gegen Nordvietnam.
Auch wenn es keine Amerikaner waren, die die Napalm-Bomben abgeworfen haben. So
ist die Vergebung, ausgesprochen von der erwachsenen Frau, eine große,
bewundernswerte Geste. Denn US-Captain Plummer hatte in diesem Krieg gewiss
seinen Anteil am Leid unzähliger anderer.
Ihm
hat sie vergeben, mit ihm hat sie sich versöhnt. Damit kann sie ein Vorbild
sein für andere Opfer des Krieges. Diese Wahrheit der Versöhnung hat Gutes
bewirkt. Sie ist der Anfang neuer Projekte einer Friedensbotschafterin, die
leidenschaftlich für Frieden und Versöhnung eintritt. Ich hoffe und bete für
alle Kinder, die so wie einst Kim Phúc unter Krieg leiden, dass ihr Leiden ein
Ende hat. Und dass die versöhnende Kraft der Wahrheit sich durchsetzt.
Dass
Sie heute in ihrem Alltag die versöhnende Kraft der Wahrheit erfahren, wünscht
Ihnen
Ihr Andreas
Duderstedt aus Lemgo.
Redaktion:
Landespfarrerin
Petra Schulze
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