Guten
Morgen,
sie
ruft bei ihrer Reinigungsfrau an. Ein Mann geht an den Apparat. „Ja?“ „Guten
Tag, Ihre Frau putzt bei uns, sie war heute Morgen nicht da. Kann ich sie bitte
mal sprechen?“ Schweigen. Dann: „Das geht leider nicht, sie ist tot.“ „Wie
tot?“ „Tabletten,“ kommt von der anderen Seite der Leitung und dann nur noch
„Auf Wiederhören.“ Später erfährt sie, dass die Frau in Polen beerdigt wurde
und die Kinder jetzt dort bei den Großeltern sind. Das beschäftigt sie lange.
Hätte sie erkennen müssen, dass es der jungen Frau nicht gut ging? Ja, manchmal
schien sie überfordert zu sein mit Kindern, Haushalt und der Arbeit und wirkte
psychisch etwas angeschlagen. Aber wer hätte denn gedacht, dass sie Tabletten
nimmt und womöglich absichtlich eine Überdosis? So etwas kommt häufiger vor,
als man denkt. Rund 10 000 Menschen nehmen sich jedes Jahr in Deutschland das
Leben. Jeder, jede hinterlässt bis zu sieben Angehörige. Arbeitskolleginnen,
Vereinsfreunde, Nachbarinnen und Mitschüler noch nicht mitgerechnet. Leider
alltäglich. Auch wenn man kaum darüber spricht.
Um
das Thema aus der Tabuzone zu holen ist jedes Jahr am 10. September
Weltsuizidpräventionstag. Selbsthilfegruppen, Telefonseelsorge, Psychosoziale
Dienste, psychiatrische Fachkliniken u.a. machen durch Vorträge, Interviews in
der Presse und Stände in den Fußgängerzonen auf ihre Hilfsangebote aufmerksam.
Für Menschen mit psychischen Problemen und Suizidgedanken, für deren Angehörige
und für Hinterbliebene. Und seit einigen Jahren engagieren sich auch die
Kirchen mit Gottesdiensten und Fürbitten. Der Bibel ist nichts Menschliches
fremd. Also berichtet sie auch von Menschen mit Depressionen, die ihres Lebens
überdrüssig sind. Zum Beispiel von Elia. Er liegt unter einem Ginsterstrauch
und wünscht sich sehnlich, zu sterben. Oder von Hiob. Er hadert mit seinem Schicksal
so sehr, dass er bedauert, jemals geboren worden zu sein. Ihm ist ein ganzes
Buch in der Bibel gewidmet. Und sie berichtet von Suiziden. Zum Beispiel von
König Saul oder von Judas, nachdem er Jesus verraten hat. Und an keiner Stelle
werden sie verurteilt.
Ja, als
evangelische Pfarrerin glaube ich: Unser Leben ist uns von Gott geschenkt
worden. Und ein Geschenk wirft man nicht einfach weg. Aber einfach tut man das
eh nicht. Niemand nimmt sich gern das Leben. So helfen Christen Menschen in
Not, ihr Leben zu bewältigen, wo immer es geht. Und wenn sie ihm gleichwohl ein
Ende setzen, dann lassen wir sie nicht fallen, sondern halten die Not mit aus
bis zum Ende. Und wir sind bei den Angehörigen. Denn Gottes Liebe ist stärker
als jede Not und Verzweiflung, stärker als Schmerzen und Trauer, sogar stärker
als jeder Tod. Auch als ein Suizid.
Wer
selbst von einem Suizid betroffen ist und wer Suizidgedanken hat, muss nicht
alleine damit bleiben. Es gibt die genannten Anlaufstellen. Die
Telefonseelsorge wurde vor etwa 60 Jahren eigens für die Suizidvorsorge
gegründet. Rufen Sie an – was immer Sie quält, hier ist es gut aufgehoben.
Redaktion: Landespfarrerin
Petra Schulze
https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/56183_WDR3520210910SchwahnWDR4.mp3