Papierschiffchen und Leuchttürme

Kirche in WDR3 | 11.07.2022 | 00:00 Uhr

Guten Morgen.

Sie

zieht die Schwimmweste an und hilft mit: Etliche Care-Pakete und Wasservorräte liegen

hier am Ufer des Mittelmeeres und warten darauf, in die Beiboote gepackt zu

werden. Gleich soll es losgehen. Sie schaut auf die See – die ist noch ruhig,

aber Sturm ist angesagt. Und so viele sind da draußen in seeuntauglichen Booten

unterwegs. Auf der Flucht. Sie denkt: „Ich bin so vielen begegnet, die ihr

Leben einer Nussschale und korrupten Schleppern anvertraut haben. Ich weiß

durch sie und auch durch mein Leben, wie es sich anfühlt, in den Wellen der

Überforderung zu ertrinken. Ich weiß, wie es ist, wenn ich mein Leben nicht

mehr selbst steuern kann, wenn ich den Monsterwellen nicht ausweichen kann.

Wenn ich die Orientierung verloren habe und ziellos umherschippere, in der

Hoffnung auf ein rettendes Ufer.“

Die

junge Helferin kontrolliert noch einmal den Sitz der Schwimmweste und steigt

nun selbst in ein Beiboot. Bei allem, was da draußen oder auch in ihrem Leben

passiert weiß sie: „Da ist ein Anker, ein Leuchtturm, ein Heimathafen. Ich gehe

nicht verloren. Dieser Anker hilft mir, im Alltag oder in meinen

Herausforderungen nicht zu ertrinken und mich zu orientieren. Mein Heimathafen

ist der Ort, wo ich Geborgenheit und Schutz finde, wenn es mal wieder einsam

und stürmisch war. Was ich aber anders als die Geflüchteten nicht weiß ist, wie

sich Todesangst anfühlt. Wie es sich anfühlt, nicht zu wissen wie es weitergeht

– gerettet zu werden, zu sterben oder schlimmer als das, wieder zurückgeschickt

zu werden.“ Das Beiboot der Sea-Eye-4, das an diesem Tag zu Wasser gelassen

wurde, rettete wieder über 100 Geflüchtete vor dem Ertrinken, Verhungern,

Verdursten, vor Terror und Krieg. Viele haben mitgeholfen, dass das möglich

ist. Viele haben gespendet und gebetet. Für alle Unterstützerinnen und

Unterstützer ist klar: „Keinen werden wir abweisen. Man lässt keinen Menschen

ertrinken. Punkt.“

„Ich

weiß, es werden noch harte Zeiten kommen“, hat Jesus einmal gesagt. Er sagt das

zu seinen Jüngern und lässt dabei den Blick über den See Tiberias schweifen.

Dann sagt er: „Stürme des Lebens werden kommen, mit Wellengang und Wasser bis

zum Hals. Zweifel, Sorgen und Ängste – viel größer als jeder Rettungsring.“ Was

Jesus sich für die Menschen wünscht, das predigt er ihnen und zeigt er ihnen in

seinen Wundern. Heilung. Frieden. Dass sie satt werden. Da fragt Simon Petrus

ihn eines Tages: „Was denkst du gerade, Jesus? Du blickst so verträumt auf das

Meer da unten.“

Jesus

überlegt einen kurzen Moment und sagt: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht

abweisen.“ Petrus ist erleichtert. Jesus ist da! Vielleicht so ein bisschen wie

ein Leuchtturm, ein Anker, eine Boje oder vielleicht ja sogar das rettende

Beiboot. „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Ein Versprechen, das

bis heute und für immer gilt: Egal, was mich bewegt, was mich aufbrausen lässt,

was mich die Orientierung verlieren lässt, mich an mir oder anderen zweifeln

lässt, es bleibt dieses Versprechen: Ich werde dich nicht abweisen. Punkt! Und

vielleicht kann ich es ja dann wagen, beherzte Taten und Zeichen zu riskieren:

Ungerechtigkeit und Hassgeschrei entgegenzutreten. Mehr dafür tun, dass Menschenleben

gerettet werden. Und vielleicht kann ich es mit Jesus als Anker wagen, die

Stimme zu erheben für die, die keine Stimme mehr haben und einfach mal mutig

sein.

(Ende WDR 4, Verabschiedung für WDR 3 und WDR

5:)

Es grüßt

Sie, Pfarrerin Veronika Grüber aus Bad Salzuflen.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58507_WDR3520220711Grueber.mp3

  • 11.7.2022
  • Veronika Grüber
  • (Foto: united4rescue | Fiona Alihosi)
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