Segne diesen schönen Mist

Kirche in WDR2 | 08.08.2022 | 00:00 Uhr

Wenn ich abends völlig kaputt

nach Hause komme, gucke ich TikTok. Diese kleinen, kurzen Videos, in denen

Menschen ihre Tiere, Kinder, Hobbies und Talente zeigen. Wenn es mir nicht

gefällt, wie manche da rumtanzen, ihre Partner reinlegen, fressen oder

abnehmen, wische ich einfach weiter, bis ein Hundevideo kommt. Obwohl ich

selber einen tollen Hund habe, kann ich davon nicht genug bekommen. Ich liebe

es, wenn da ein Hund auf mich herabblickt und auf der Tonspur

Telefonfreizeichen sind. Dazu dann noch ein Text, meist auf Englisch: Rufe

Frauchen an, um zu sagen, dass sie mich mit Herrchen hier zuhause vergessen

hat. Und mein Herz lächelt. Ach, TikTok ist für mich Ablenken, Abschalten,

Aufatmen. Im nächsten Video liegt ein fauler, dreckiger Golden Retriever in

einer Erdkuhle, guckt mich herausfordernd und glücklich an und eine Stimme

spricht im Hintergrund: „Ich habe beschlossen, mich nicht länger zu verbessern.

Ich bin ein schönes Desaster und akzeptiere mich als solches. Segne diesen

Schlamassel, denn ich habe es satt, gestresst zu sein. Ich gucke das TikTok

zweimal. Und noch viel mehr faule, selbstzufriedene, dreckige, liebenswerte

Hunde lassen mich wissen, dass sie eine bewundernswerte Katastrophe sind.

Ich kann nur zustimmen und

sie ebenfalls als solche akzeptieren. Die Worte gehen mir nach, auf Englisch

reimt es sich auch noch. Bless this mess because I am done being stressed.

Segne dieses Durcheinander, diese Schweinerei, diesen Dreck, denn ich hab die

Schnauze voll vom Stress, alles immer noch optimieren zu müssen, vor allem

mich. Mein Herz schreit Ja! Ja! Ja genau und Amen. Genau diese Haltung möchte

ich auch öfter haben. Gegenüber anderen und auch mir selbst. Ich bin eine

Katastrophe für andere und mich – aber dabei auch wirklich liebenswert – und

sogar wunderschön.

Das müssen wir jetzt mal alle

miteinander akzeptieren – ich nehme selber ein TikTok mit dem Satz auf, keine

Ahnung, ob es irgendjemand sieht, ist mir auch egal, nur mir wird dadurch

nochmal klar: Durch Stress werde ich noch mehr zum Desaster – jedoch nicht

schöner oder sogar liebenswerter. Ich wünsche mir, dass mein Durcheinander,

mein Dreck und meine Not gesegnet sind – denn ich spüre es ganz genau: Ich

werde mich nie dahin optimieren können, wo andere und ich mich gerne sähen. Ich

will es auch nicht mehr. Stattdessen: Hier und da mehr von dem, was mir guttut.

Hier und da noch viel mehr von dem, was Anderen guttut. Denn: Mir und Anderen

geht es besser, wenn ich mich so akzeptiere, wie ich bin: Eine liebenswerte

Frau in ihrem täglichen Schlamassel.

Redaktion: Pastorin Sabine

Steinwender-Schnitzius

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58756_WDR220220808Berger.mp3

  • 8.8.2022
  • Katrin Berger
  • © CCO Pixabay
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