„Ich fühle mich zum ersten
Mal richtig frei.“, sagt er. „Hier im Knast.“ Ich schaue ihn an. Ungläubig. Ich
sehe stabile Stahlgitter an den Fenstern. Dicke Mauern. Alle paar Meter gibt es
eine Tür, zu der er keinen Schlüssel hat. Freiheit sehe ich nicht. Er erzählt:
Von seiner Kindheit, aufgewachsen inmitten von Drogen und Gewalt. Von Schlägen
und Verwahrlosung. Erzählt davon, wie er selber drogenabhängig wird. Mit 12.
Und wie er schließlich als Erwachsener genau das tut, worunter er früher bei
seinen Eltern am meisten gelitten hat.
Er konsumiert. Schlägt.
Alles wiederholt sich. „Ich
bin gefangen gewesen in einem Leben, das mich unglücklich gemacht hat.“, sagt
er. „Mich, meine Umwelt, meine Familie. Alle. Hier im Knast“, sagt er, „bin ich
eingesperrt. Aber ich bin das alte Leben los. Ich fühle mich frei.“ Ich grüble:
Seltsam. Wie beengend kann ein Leben sein, das äußerlich frei scheint. Aber das
man so gar nicht leben will. Und wie frei kann man sich fühlen, obwohl alles
nach Einschränkung und Zwang aussieht. Wie ist das bei mir?
Äußerlich bin ich frei. Ich
gehe zum Supermarkt oder zum Bäcker, wann ich will. Ich setze mich in die
Eckkneipe. Oder auch nicht. Ich bin frei. Und auch wieder nicht. Denn natürlich
gibt es auch für mich Begrenzungen, die ich nicht übertreten darf. Mein Chef
sagt mir, wann ich was zu arbeiten habe. Das Schild an der Straße sagt mir, wie
schnell ich fahren darf. Als Kind habe ich gelernt, was sich gehört und was
nicht. Überall rings um mich sind Regeln, Einschränkungen, Zwänge, Sorgen.
Unsichtbare Mauern. Manche habe ich so verinnerlicht, dass ich sie nicht einmal
mehr bemerke. Und doch halten sie mich so oft davon ab, so zu sein, wie ich eigentlich
gerne wäre. Weil man mich nicht lässt. Weil ich mich nicht traue. Weil es sich
einfach nicht gehört. Natürlich, ich bin frei. Und irgendwie doch nicht. Und dann
sitzt da ein Mann vor mir: Im Gefängnis. Eingesperrt. Aber frei. Von innen
heraus. Weil er zu sich gefunden hat. Ob es diese innere Freiheit ist, von der
in der Bibel steht: „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“? (2. Kor
3,17). Frei sein, weil man angekommen ist in seinem Leben. Weil man seinen Ort
kennt und sein Ziel. Und sich nicht hindern lässt, auf dieses Ziel zuzugehen.
Erfüllt von einem Geist, mit dem man innere Mauern überspringen kann. Das ist
eine innere Freiheit, von der ich manchmal auch gerne mehr hätte.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
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