Der gegeißelte Heiland auf der Wies

Kirche in WDR3 | 08.09.2021 | 00:00 Uhr

Guten

Morgen,

wir

sitzen andächtig in der berühmten Wieskirche in Bayern. Der Diakon erzählt uns,

was die üppigen Bilder und Ornamente in dieser prachtvollen Rokokokirche bedeuten.

Besonders angetan hat es ihm die Figur vorne in der Nische mit dem Tabernakel,

einem kleinen Schrein für die Figur. Es ist der so genannte „gegeißelte Heiland

auf der Wies“ ( 1 ). Dieser Christus ist eine armselige Gestalt, mit einer

schweren Kette um den Arm und um den Hals. Sie drückt ihn, sie zwingt ihn, sich

vornüber zu neigen, er sieht ins Leere, ausgeliefert, verschreckt, ohne

Perspektive. Ein Bild von Folter und Schwäche und Leid. Kein schönes Bild vom

Heiland. Die Proportionen stimmen nicht, der Oberkörper zu lang, die Hände zu

groß, der Körper ist übersät mit Narben und blutenden Wunden und seltsam

verdreht. Bekleidet ist er nur mit einem Lendenschurz. Die rechte Hand streckt

dieser Christus aus. Es scheint so, als wenn er uns einladen würde. Über ihm

ein goldener Strahlenkranz, ein Heiligenschein. Für diesen gefolterten Christus

wurde die Wieskirche gebaut. Dieses mit Gold und Stuck verzierte und überall

mit Szenen aus dem Leben Jesu ausgemalte Gotteshaus. Überall sehe ich, wie er

sich Menschen zuwendet. Dem korrupten Zollbeamten, der Ehebrecherin, gütig und

mitfühlend. In diesem Christus zeigt sich Gott von seiner menschlichen Seite.

Kaum zu glauben, dass sich das alles um diese armselige Christusfigur rankt.

Auch weil sie eine besondere Geschichte hat. Die Figur wurde um 1730 für eine Karfreitagsprozession

gefertigt, und weil sie nicht schön genug war, wieder aus dem Verkehr gezogen.

Sie landete auf dem Speicher eines Bauernhofs. Acht Jahre später (am 14. Juni

1738) bemerkte die Bäuerin beim Abendgebet Tränen in den Augen des gegeißelten

Heilands. Ein Wunder.

Der

Diakon interpretiert das so: Die Menschen damals kamen aus dem Krieg. In den

Krieg ziehen zu müssen war an der Tagesordnung. Und in den Kämpfen erlebten sie

Fürchterliches. Nach Hause zurückgekehrt sahen sie in der armseligen

Christusgestalt mit den Wunden und schweren Ketten, in dem gegeißelten Heiland

auf der Wies, sich selbst, ihre geschundenen Körper und ihr Leid, das sie

durchgemacht haben. Sie sahen in ihm einen Gott, der ihre Not kennt und sie

versteht, der mitweint.

Wie

wichtig und tröstend und wohltuend es ist, so einen Gott zu haben. Auch heute.

Gerade in diesen Zeiten, in denen auch wir gegeißelt werden von einem Virus und

von Katastrophen, wie den entsetzlichen Überschwemmungen. In denen mancher

schreit: Wo bist du, mein Gott? Warum ziehst du mir so den Boden unter den Füßen

weg? Warum nimmst du mir den Glauben daran, dass du mich beschützt und

behütest?

Gott

kennt unsere Not, unsere Last, weiß, wie es uns geht. In seinem Sohn Jesus

Christus hat Gott selbst Unbeschreibliches durchgemacht. Er trägt unsere

Krankheiten und Schmerzen mit. Das gibt Boden unter den Füßen, auch wenn alles

wegschwimmt, was bisher getragen hat.

Ihre

Pfarrerin Barbara Schwahn, Meerbusch

Quellen:

(1) Käser Xaver, …bis du kommst in Herrlichkeit. Die

Wieskirche in ihren Bildern betend betrachtet, Augsburg 2/2017.

Redaktion: Landespfarrerin

Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/56186_WDR3520210908Schwahn.mp3

  • 8.9.2021
  • Dr. Barbara Schwahn
  • © CCO Pixabay
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