Guten
Morgen,
wir
sitzen andächtig in der berühmten Wieskirche in Bayern. Der Diakon erzählt uns,
was die üppigen Bilder und Ornamente in dieser prachtvollen Rokokokirche bedeuten.
Besonders angetan hat es ihm die Figur vorne in der Nische mit dem Tabernakel,
einem kleinen Schrein für die Figur. Es ist der so genannte „gegeißelte Heiland
auf der Wies“ ( 1 ). Dieser Christus ist eine armselige Gestalt, mit einer
schweren Kette um den Arm und um den Hals. Sie drückt ihn, sie zwingt ihn, sich
vornüber zu neigen, er sieht ins Leere, ausgeliefert, verschreckt, ohne
Perspektive. Ein Bild von Folter und Schwäche und Leid. Kein schönes Bild vom
Heiland. Die Proportionen stimmen nicht, der Oberkörper zu lang, die Hände zu
groß, der Körper ist übersät mit Narben und blutenden Wunden und seltsam
verdreht. Bekleidet ist er nur mit einem Lendenschurz. Die rechte Hand streckt
dieser Christus aus. Es scheint so, als wenn er uns einladen würde. Über ihm
ein goldener Strahlenkranz, ein Heiligenschein. Für diesen gefolterten Christus
wurde die Wieskirche gebaut. Dieses mit Gold und Stuck verzierte und überall
mit Szenen aus dem Leben Jesu ausgemalte Gotteshaus. Überall sehe ich, wie er
sich Menschen zuwendet. Dem korrupten Zollbeamten, der Ehebrecherin, gütig und
mitfühlend. In diesem Christus zeigt sich Gott von seiner menschlichen Seite.
Kaum zu glauben, dass sich das alles um diese armselige Christusfigur rankt.
Auch weil sie eine besondere Geschichte hat. Die Figur wurde um 1730 für eine Karfreitagsprozession
gefertigt, und weil sie nicht schön genug war, wieder aus dem Verkehr gezogen.
Sie landete auf dem Speicher eines Bauernhofs. Acht Jahre später (am 14. Juni
1738) bemerkte die Bäuerin beim Abendgebet Tränen in den Augen des gegeißelten
Heilands. Ein Wunder.
Der
Diakon interpretiert das so: Die Menschen damals kamen aus dem Krieg. In den
Krieg ziehen zu müssen war an der Tagesordnung. Und in den Kämpfen erlebten sie
Fürchterliches. Nach Hause zurückgekehrt sahen sie in der armseligen
Christusgestalt mit den Wunden und schweren Ketten, in dem gegeißelten Heiland
auf der Wies, sich selbst, ihre geschundenen Körper und ihr Leid, das sie
durchgemacht haben. Sie sahen in ihm einen Gott, der ihre Not kennt und sie
versteht, der mitweint.
Wie
wichtig und tröstend und wohltuend es ist, so einen Gott zu haben. Auch heute.
Gerade in diesen Zeiten, in denen auch wir gegeißelt werden von einem Virus und
von Katastrophen, wie den entsetzlichen Überschwemmungen. In denen mancher
schreit: Wo bist du, mein Gott? Warum ziehst du mir so den Boden unter den Füßen
weg? Warum nimmst du mir den Glauben daran, dass du mich beschützt und
behütest?
Gott
kennt unsere Not, unsere Last, weiß, wie es uns geht. In seinem Sohn Jesus
Christus hat Gott selbst Unbeschreibliches durchgemacht. Er trägt unsere
Krankheiten und Schmerzen mit. Das gibt Boden unter den Füßen, auch wenn alles
wegschwimmt, was bisher getragen hat.
Ihre
Pfarrerin Barbara Schwahn, Meerbusch
Quellen:
(1) Käser Xaver, …bis du kommst in Herrlichkeit. Die
Wieskirche in ihren Bildern betend betrachtet, Augsburg 2/2017.
Redaktion: Landespfarrerin
Petra Schulze
https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/56186_WDR3520210908Schwahn.mp3