Guten Morgen,
„Ich möchte mit Anstand alt werden!“, sagt ein Mann um die
sechzig im Radio. Da spricht jetzt kein Moralapostel. Sondern ein dankbarer
Christ. In seinem Glauben blickt er „über das Grab hinaus“, wie er sagt. Und er
hofft auf noch viele schöne geschenkte Lebensjahre. Und die will er nun eben
nutzen, um mit Anstand alt zu werden. Damit meint der Mann nicht, dass ich mich
durch besondere Leistungen bei Gott und Menschen ins rechte Licht rücken soll.
Er meint es eher wie es eine unbekannte Äbtissin einmal in einem Gebet
formuliert haben soll:
Sprecherin (weiblich): „Herr, du weißt, dass ich altere und
bald alt sein werde. Bewahre mich davor, schwatzhaft zu werden, und besonders
vor der fatalen Gewohnheit, bei jeder Gelegenheit und über jedes Thema mitreden
zu wollen. Befreie mich von der Einbildung, ich müsse anderer Leute
Angelegenheiten in Ordnung bringen. (…) Ich wage nicht, dich um die Fähigkeit
zu bitten, die Klagen meiner Mitmenschen über ihre Leiden mit nie versagender
Teilnahme anzuhören. Hilf mir nur, sie mit Geduld zu ertragen, und versiegle
meinen Mund, wenn es sich um meine eigenen Kümmernisse und Gebrechen handelt.
Sie nehmen zu mit den Jahren, und meine Neigung, sie aufzuzählen, wächst mit
ihnen.
Ich will dich auch nicht um ein besseres Gedächtnis bitten,
nur um etwas mehr Demut und weniger Selbstsicherheit, wenn meine Erinnerungen
nicht mehr mit der anderer übereinstimmt. Schenke mir die wichtige Einsicht,
dass ich mich gelegentlich irren kann.
Hilf mir, einigermaßen milde zu bleiben. Ich habe nicht den
Ehrgeiz, eine Heilige zu werden. Mit manchen von ihnen ist es so schwer
auszukommen. (….)
Mache mich teilnehmend, aber nicht sentimental, hilfsbereit,
aber nicht aufdringlich. Gewähre mir, dass ich Gutes finde, wo ich es nicht
vermutet habe, und Talente bei Leuten, denen ich es nicht zugetraut hätte. Und
schenke mir, Herr, die Liebenswürdigkeit, es ihnen zu sagen. Amen.“ (1)
Ich freue mich über dieses Gebet, das sogar im Evangelischen
Gesangbuch steht. Es ist nicht nur ernsthaft, sondern zugleich überaus
vergnüglich. Wie schön, dass hier ein Mensch vor Gott über sich selbst lachen
kann und seine Schwächen und Fehler ehrlich offen ausspricht. Allein der Satz:
„Schenke mir die wichtige Einsicht, dass ich mich gelegentlich irren kann“, ist
doch Goldwert. Vielleicht hat jener Mann, der mit Anstand alt werden will, auch
gerade an die Weisheiten und Wahrheiten dieses Gebetes gedacht. Es ist ja
wirklich so: Wenn ich mein Augenmerk auf das richte, was ich noch habe, statt
auf das, was ich verloren habe, wenn ich die Fülle der vergangenen Jahrzehnte
schätzen kann, dann empfinde ich eine tiefe Dankbarkeit. „Solange wir
Dankbarkeit für das Erlebte empfinden, ist es auch nicht schlimm, nicht alles
gehabt zu haben“, sagt der 90-jährige Theologe Prof. Fulbert Steffensky.
Ja – altern erfordert Mut! Weil die Verluste zunehmen. Weil ich Fähigkeiten und
Freunde verliere. Das ist schmerzhaft in einer Gesellschaft, in der Jugend und
Leistungsstärke im Vordergrund stehen. Doch das Alter kann auch eine sehr produktive
Lebenszeit sein, ob ehrenamtlich, künstlerisch oder familiär. Und vor allem:
Mit einer großen Portion Humor, Gelassenheit und Gottvertrauen wie die Äbtissin
sie hatte.
Dass Ihnen dies gelingt, wünscht Ihnen Prädikant Werner Brück
aus Remscheid.
Quelle:
(1) Evangelisches Gesangbuch (eg), Ausgabe für die
Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Bayern und Thüringen, eg 830.3, S. 1423,
Gebet einer unbekannten Äbtissin (oftmals Teresa von Avila zugeschrieben).
Redaktion: Landespfarrerin Petra
Schulze
https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58745_WDR3520220716Brueck.mp3