Autorin: Guten Morgen!
Sie ist 2020 neu
rausgekommen. Zuerst hab´ ich es gar nicht kapiert, obwohl sie im Prinzip
täglich vor meinen Füßen lag: Die Neue
Rheinuferzeitung. Da liegt sie, über viele hundert Meter aufgerollt vor mir
auf dem Asphalt.
Wenn Sie auf der linken
Rheinseite zwischen Köln-Rodenkirchen und Altstadt mit dem Fahrrad oder zu Fuß
unterwegs sind, kommen Sie kaum drum herum, diese Bodenzeitung zu lesen. Meine
Augen bleiben immer wieder an den Worten vor mir auf der Straße hängen. Sie
sind mit Kreide auf den Weg gemalt.
Vor meinen Fahrradreifen ploppen
Botschaften oder Bilder auf, die dann aber beim Drüberfahren verschwinden, noch
bevor ich sie vollständig entziffern kann; manche kommen spiegelverkehrt auf mich
zu und wenn man in Fahrt ist und nicht stehen bleiben und sich umdrehen will,
muss man auf den Heimweg warten, um in der Gegenrichtung weiter lesen zu
können.
Was gibt es für Schlagzeilen
in der Rheinuferzeitung?
Sprecher
und Sprecherin:
Redet miteinander
Solidarität
Ich vermisse dein Lächeln
Einsamkeit
Grundrechte und Freiheit
Mein Licht verbindet
Autorin: …oder unter „Verschiedenes":
Sprecher: Ich hab` dich
lieb, Ehefrauchen
Autorin: Neulich gab es auch etwas zum Mitnehmen: Da lag am
Wegesrand ein Stein, auf dem stand in blauer Druckschrift „Wo Recht zu Unrecht
wird". Wer nimmt so etwas wohl mit nach Hause, hab´ ich mich gefragt.
An einer anderen Stelle lag
auf der Brüstung zum Rhein hin eine Stoffpuppe, die ein bisschen wie Pippi
Langstrumpf aussah. Sie hatte so einen frechen Ausdruck im Gesicht. Schön, beim
Vorbeifahren in ein fröhliches Gesicht ohne Maske zu gucken, auch wenn es nur
einer Puppe gehört…
Die Neue Rheinuferzeitung ist
jeden Tag anders, oft verblassen die Schriften aus Kreide und manchmal wischt
der Regen die wichtigsten Artikel weg.
Es gibt auch Menschen, die
sagen: „Das ist doch nur banales Gekritzel auf dem Boden.“
Ich kann das gar nicht
finden. Menschen schreiben ihre Not, ihre Sorge, ihre Überzeugung oder ihr
Glück auf den Rheinuferweg, den andere Menschen entlanggehen oder -fahren. Jede
und jeder kann das tun. Statt sich – wie in der Pandemie üblich – ins eigene
Schneckenhaus zurückzuziehen, teilen sich diese Menschen mit. Und öffnen sich
für andere und erweitern damit ihren Horizont.
Die Zeitung macht mir etwas
klar: Bei dem ganzen Projekt geht es darum, aufmerksam zu werden: auf die
Botschaften der Menschen, die an der Zeitung mitschreiben. Und damit ja auch aufmerksam
auf die Menschen selbst. Wie in meinem Glauben. Denn glauben bedeutet
„geistesgegenwärtig“ sein. Auf die Botschaften meiner Mitmenschen zu achten.
Sie wahrzunehmen. Sie versuchen zu entziffern.
Deshalb möchte ich diese
Woche einmal versuchen, die Menschen, die meinen Weg kreuzen, so aufmerksam zu
lesen wie die Rheinuferzeitung. Und wenn es mal mit der Übersetzung nicht
klappt – dann hoffe ich auf den Geist Gottes. Der verbindet auch da, wo man
nicht die gleiche Sprache spricht oder auf derselben Wellenlänge schwimmt.
Ich wünsche Ihnen einen guten
Morgen, Ihre Pfarrerin Nicola Thomas-Landgrebe aus Köln-Frechen
Redaktion: Landespfarrerin
Petra Schulze
https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/55845_WDR3520210813Landgrebe.mp3