Guten Morgen.
Sie
zieht die Schwimmweste an und hilft mit: Etliche Care-Pakete und Wasservorräte liegen
hier am Ufer des Mittelmeeres und warten darauf, in die Beiboote gepackt zu
werden. Gleich soll es losgehen. Sie schaut auf die See – die ist noch ruhig,
aber Sturm ist angesagt. Und so viele sind da draußen in seeuntauglichen Booten
unterwegs. Auf der Flucht. Sie denkt: „Ich bin so vielen begegnet, die ihr
Leben einer Nussschale und korrupten Schleppern anvertraut haben. Ich weiß
durch sie und auch durch mein Leben, wie es sich anfühlt, in den Wellen der
Überforderung zu ertrinken. Ich weiß, wie es ist, wenn ich mein Leben nicht
mehr selbst steuern kann, wenn ich den Monsterwellen nicht ausweichen kann.
Wenn ich die Orientierung verloren habe und ziellos umherschippere, in der
Hoffnung auf ein rettendes Ufer.“
Die
junge Helferin kontrolliert noch einmal den Sitz der Schwimmweste und steigt
nun selbst in ein Beiboot. Bei allem, was da draußen oder auch in ihrem Leben
passiert weiß sie: „Da ist ein Anker, ein Leuchtturm, ein Heimathafen. Ich gehe
nicht verloren. Dieser Anker hilft mir, im Alltag oder in meinen
Herausforderungen nicht zu ertrinken und mich zu orientieren. Mein Heimathafen
ist der Ort, wo ich Geborgenheit und Schutz finde, wenn es mal wieder einsam
und stürmisch war. Was ich aber anders als die Geflüchteten nicht weiß ist, wie
sich Todesangst anfühlt. Wie es sich anfühlt, nicht zu wissen wie es weitergeht
– gerettet zu werden, zu sterben oder schlimmer als das, wieder zurückgeschickt
zu werden.“ Das Beiboot der Sea-Eye-4, das an diesem Tag zu Wasser gelassen
wurde, rettete wieder über 100 Geflüchtete vor dem Ertrinken, Verhungern,
Verdursten, vor Terror und Krieg. Viele haben mitgeholfen, dass das möglich
ist. Viele haben gespendet und gebetet. Für alle Unterstützerinnen und
Unterstützer ist klar: „Keinen werden wir abweisen. Man lässt keinen Menschen
ertrinken. Punkt.“
„Ich
weiß, es werden noch harte Zeiten kommen“, hat Jesus einmal gesagt. Er sagt das
zu seinen Jüngern und lässt dabei den Blick über den See Tiberias schweifen.
Dann sagt er: „Stürme des Lebens werden kommen, mit Wellengang und Wasser bis
zum Hals. Zweifel, Sorgen und Ängste – viel größer als jeder Rettungsring.“ Was
Jesus sich für die Menschen wünscht, das predigt er ihnen und zeigt er ihnen in
seinen Wundern. Heilung. Frieden. Dass sie satt werden. Da fragt Simon Petrus
ihn eines Tages: „Was denkst du gerade, Jesus? Du blickst so verträumt auf das
Meer da unten.“
Jesus
überlegt einen kurzen Moment und sagt: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht
abweisen.“ Petrus ist erleichtert. Jesus ist da! Vielleicht so ein bisschen wie
ein Leuchtturm, ein Anker, eine Boje oder vielleicht ja sogar das rettende
Beiboot. „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Ein Versprechen, das
bis heute und für immer gilt: Egal, was mich bewegt, was mich aufbrausen lässt,
was mich die Orientierung verlieren lässt, mich an mir oder anderen zweifeln
lässt, es bleibt dieses Versprechen: Ich werde dich nicht abweisen. Punkt! Und
vielleicht kann ich es ja dann wagen, beherzte Taten und Zeichen zu riskieren:
Ungerechtigkeit und Hassgeschrei entgegenzutreten. Mehr dafür tun, dass Menschenleben
gerettet werden. Und vielleicht kann ich es mit Jesus als Anker wagen, die
Stimme zu erheben für die, die keine Stimme mehr haben und einfach mal mutig
sein.
Es grüßt
Sie, Pfarrerin Veronika Grüber aus Bad Salzuflen.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58507_WDR3520220711Grueber.mp3