Wahre Verwandte

Sonntagskirche | 22.08.2021 | 00:00 Uhr

Guten Morgen.

Eine traurige Nachricht: Gestern Abend

hieß es für mich mal wieder Abschied nehmen. So lange haben wir uns gekannt. So

viel Zeit haben wir miteinander verbracht. Ihr seid mir so vertraut geworden –

gefühlt kenne ich euch besser als meine eigene Familie. Und nun? Werden wir uns

nochmal wiedersehen? Mich beschleichen Trauer und Leere, dieses bekannte Loch,

wenn es wieder einmal zu Ende gegangen ist. Zu Ende mit der Staffel. Zu Ende

mit der endlosen Fortsetzung. Es ist mal wieder soweit: Meine Fernseh-Familie

hat das Serienfinale erreicht. Sie ist gegangen, ich bleibe traurig zurück.

Liebe Serien-Verwandte, ich danke

euch! Ihr habt mir Corona versüßt, mir die Abstinenz von Freunden und Familie

erleichtert. Stunden haben wir miteinander verbracht, miteinander gelacht und

geweint, Höhen und Tiefen geteilt. Ihr werdet mir fehlen, Sheldon, Leonard,

Penny und Amy Farrah Fowler. Und wohin auch immer ihr nun geht – bitte grüßt

mir Mutter Beimer, Else Kling und all die anderen, die vor euch vom Bildschirm

gingen. Und bitte: wartet noch bevor ihr Meredith, Jackson und Dr. Bailey zu

euch holt. Sie werden doch noch gebraucht im Grey Sloan Hospital, wo die

Belegschaft gerade mit uns allen gegen Corona antritt.

Und ich gestehe auch: Vor allem

brauche ich euch. Wir brauchen euch: Zuhause, abends auf der Couch. Als

nichts mehr ging, ward ihr da – auf allen Fernsehkanälen. Tröstende

Gesellschaft in Zeiten des Alleinseins, nur einen Knopfdruck entfernt. Ihr ward

nah als anderen fern waren, echte Gesichter und echte Schicksale, unmaskiert

und unbeschönigt.

Und ich merke immer wieder, seit

Jahren schon und jetzt erst recht: Der Abschied von meiner Fernseh-Familie, von

Brüdern und Schwestern, Freunden, Müttern, Vätern und Kindern in einer guten

Serie oder einem guten Buch – der fällt mir manchmal schwerer als der Abschied

von meinen echten Lieben im echten Leben.

Dabei habe ich ein gutes Verhältnis zu

meiner Familie. Anders als Jesus zum Beispiel, der laut Berichten in der Bibel seine

Mutter und Geschwister einfach abblitzen lässt. Stattdessen erklärt er die

Menschenmenge, die vor ihm sitzt und ihm zuhört, zu seinen wahren Verwandten.

Jesus hat

schon als Zwölfjähriger kein Verständnis dafür, dass seine Mutter ihn vermisst und alle wie verrückt

nach ihm suchen, während er seelenruhig im Tempel sitzt und den Schriftgelehrten

lauscht.

Manchmal muss man sich eben

entscheiden: Wer ist mir eigentlich lieber? Meine „echte“ Familie oder die, die

mit mir Wort und Glauben teilt?

Für Jesus ist die Sache klar: „Wer

tut, was Gott will, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter.“

(Markus 3,35, BasisBibel). Ich lese das und denke mir: Gott sei Dank! Es ging

auch schon Menschen vor mir so, dass man sich anderen manchmal näher fühlt als

seiner eigenen Familie.

Dazu ist das Finale in der Bibel auch

noch großartig: Mit dem Tod ist es nicht zu Ende – sondern dann folgt noch die

Auferstehung Jesu. Ich atme auf: Gott sei Dank – Fortsetzung folgt offenbar. Kein

Abschied, sondern frohe Botschaft: Wir sehen uns und hören uns wieder, Gott! Bis

bald – und einen gesegneten Sonntag!

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/55913_SK20210822Kirschkowski.mp3

  • 22.8.2021
  • Daniela Kirschkowski
  • © CCO Pixabay
Downloads